Die Himmelsmalerin
Jahren seiner Regentschaft begriffen, dass seine Feinde niemals schliefen und alles tun würden, um ihm zu schaden. Und hier kam Lionel ins Spiel, der in einer der besagten Reichsstädte arbeitete. Was tat sich in der lebhaften Brückenstadt Esslingen, in die es den international gefragten Glasmaler verschlagen hatte? Der König hatte nicht vergessen, dass die Stadt früher dem Geschlecht der Habsburger zugetan gewesen war und ihr Fähnchen gerne nach dem Wind hing. Gab es Tendenzen, dass sie sich wieder dem Konkurrenten zuwenden würde, dem Ludwig in der ihm eigenen Großmut vergeben, ihn aber genau damit wirksam kaltgestellt hatte. Oder hielt man es gar mit der Spinne in Avignon?
Ludwig der Bayer hatte ihn in seinem bequemen Lehnstuhl empfangen und erwartungsvoll angeblickt.
»Hmm«, hatte Lionel gesagt und seine Fingernägel betrachtet.
Wirksam hatte er in den letzten Wochen jede Begegnung mit dem Rat und dem Bürgermeister der Stadt vermieden und konnte kaum etwas berichten. Nur dass der Bote das königliche Quartier im Franziskanerkloster inspiziert und danach die Stadt verlassen hatte. Der Mord an dem adlig geborenen Dominikaner, der als Skandal ganz Schwaben erschüttert hatte, erschien ihm weniger erwähnenswert. Seither waren ja auch schon beinahe drei Monate ins Land gegangen.
Obwohl Lionel seine Erwartungen nicht erfüllen konnte, bewies der König auch dieses Mal, dass er einen Narren an ihm gefressen hatte, und ließ ihn erst ziehen, nachdem er ihn auf eine mehrtägige Jagd und auf ein abendliches Bankett begleitet hatte. Manchmal erschien es Lionel, als ob er sich mit ihm schmückte, wie er es mit den exotischen Tieren, den Affen und Panthern seiner Menagerie tat. Außerdem nahm er ihm das Versprechen ab, in den letzten Wochen vor dem Besuch des Königs alle Vorgänge in der Stadt genau zu beobachten. Als ob Lionel mit der Fertigstellung und dem Einbau des Chorfensters nicht vollauf beschäftigt gewesen wäre. Und ganz nebenbei hatte er sich mit Madeleines leidiger Verlobung zu beschäftigen, die es auf möglichst diskrete Weise zu lösen galt.
Er seufzte, klopfte den Pferden ein letztes Mal den Hals und fuhr sich durch die zerrauften Haare. Es war Zeit, Madeleine zu suchen, die ihm sicher beinahe die Augen auskratzen würde, und sie um Entschuldigung zu bitten. Vielleicht half sie ja Martha beim Abendessen. Doch in der Küche traf er nur die Köchin, Sanna und die Katze an, die sofort begann, ihm um die Beine zu streichen. Er setzte sich und ließ sich einen heißen Würzwein servieren, der beinahe umgefallen wäre, als ihm die Katze auf den Schoß und von da auf den Tisch sprang. Geistesgegenwärtig griff er im letzten Moment zu, so dass nur ein gutes Drittel des Trunks auf Marthas geschrubbter Tischplatte landete. Ein Katzenjunges saß auf Sannas Schoß, ließ sich kraulen und schnurrte lautstark.
»Das haben wir behalten«, berichtete Sanna. »Es ist, glaub ich, ein Kater.«
»Das werdet ihr spätestens im nächsten Frühjahr feststellen«, sagte Lionel trocken.
»Warum?« Sanna machte große Augen.
Lionel verzichtete auf ausführliche Erklärungen und fragte stattdessen Martha nach Lena.
»Ja, wo steckt sie eigentlich? Ich hab sie seit heut morgen nicht gesehen.« Schwungvoll rührte sie im Kessel, in dem der braune Brei blubberte, den sie mit Speck und Zwiebeln gewürzt hatte. Er roch so gut, dass Lionels Magen zu knurren begann.
»Wartet nur noch einen Moment, dann ist der Brei fertig und Ihr könnt eine Schüssel essen.«
Lionel hob die Katze von seinem Schoß und stand auf. »Später mit Vergnügen«, sagte er. »Jetzt muss ich erst Madeleine suchen. Wahrscheinlich ist sie bei ihrem Vater und Konrad in der Werkstatt.«
»So wird’s sein«, brummte Martha und kratzte mit dem Rührlöffel über den Boden des Kessels, an dem der Brei anzusetzen begann.
Lionel ging in die Werkstatt, die dunkel und verlassen dalag. Er zündete eine Öllampe an und betrachtete seine Entwürfe, die, mit Kohle auf dünne Holzbretter gezeichnet, hintereinander an der Wand lehnten. Nächtelang hatte er die Ideen von Bruder Thomas umgesetzt, hatte die biblischen Geschichten mit der ihm eigenen Verve und Kraft ins Leben geholt, bis ihm die Augen weh taten. Als Glasfenster würden die Scheiben nicht nur die Herrlichkeit Gottes spiegeln, sondern vor allem von der Erlösungstat seines Sohnes berichten, von seinem Leben, Leiden und Sterben, aber auch von der Auferstehung, dem Trost der Menschen im irdischen
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