Die Himmelsmalerin
ablaufen. Aber nicht zu ändern, sie musste einfach die Wahrheit wissen! Lena hob den Kopf und streckte entschlossen den Rücken. Nur nicht nachdenken! Schneller, als ihr lieb war, stand sie vor dem Tor des Pfleghofs, hob den schweren Türklopfer und ließ ihn gegen das Holz fallen. Das Geräusch zerriss die Stille in der Gasse. Jedoch nichts passierte. Der Pater Pfleger und seine Helfer waren sicher alle in der Kelter. Es kommt niemand, dachte sie erleichtert, während ihr das Herz bis in den Hals hoch klopfte. Aber dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, öffnete sich die Tür ein Stück.
»Hä!« Ein alter Hausknecht steckte seinen grauen Schopf heraus und blinzelte sie mit kurzsichtigen Augen an.
»Ist das Loisl da?«, fragte Lena.
»Wer?« Er legte die Hand an sein Ohr.
Sie verdrehte die Augen zum Himmel. Warum musste der Mann zu allem Überfluss auch noch schwerhörig sein!
»Die Magd Loisl!«, schrie sie.
Auf der Straße kam gerade die Marchthalerin vorbei und musterte sie missbilligend. Sie trug ein pelzgesäumtes, weißblaues Kleid aus Brokat mit Schleppe, die sie vorsichtig raffte, um über den Gassendreck zu steigen. Sicher war sie auf dem Markt gewesen und hatte sich auch dort nicht die Hände schmutzig gemacht. Den Korb mit Obst und Gemüse trug ihr die Magd hinterher. Das Kleid hat bestimmt ein Vermögen gekostet, dachte Lena und versuchte ein schiefes Grinsen, aber die Frau schob die Nase in die Luft und ging grußlos an ihr vorbei. Kein Wunder! Dem Standesbewusstsein der edel gekleideten Kaufmannsgattin entsprach sie, zerrauft und schmutzig, wie sie wieder einmal aussah, ganz gewiss nicht. Wenigstens war sie nicht mit ihrem guten blauen Samtmantel in den Fischhaufen gefallen, sondern hatte sich wegen der Kälte für ihren alten Wollmantel entschieden.
Der Knecht verschwand im Inneren des Hauses. Sie wartete und wartete. Ungeduldig trat sie von einem schmerzenden Fuß auf den anderen. Konnte der Alte nicht etwas schneller machen, oder hatte er einfach vergessen, was sie ihm aufgetragen hatte? Lena wollte gerade gehen, erleichtert, dass sich die Begegnung mit Anstetters Zweitfrau so einfach verschieben ließ, als die Tür ein zweites Mal aufschwang.
Aus dem Schatten im Inneren des Hauses trat ein Mann. Lena spürte widerwillig, wie sie unter seinem prüfenden Blick errötete. Er war groß, gut gekleidet, und seine langen Haare lagen dunkel wie Rabenfedern auf seinen Schultern.
»Herr … Bote des Königs«, stammelte sie und schluckte die Angst herunter, die sich mit bitterem Speichel in ihrem Mund sammelte. Seinen richtigen Namen hatte sie vergessen, aber die Begegnungen mit ihm standen ihr vor Augen, als wären sie gestern gewesen. Ungeachtet seines Standes half er ihr höflich über den peinlichen Moment hinweg und verbeugte sich galant, während sie ihre Hände verlegen in ihre Manteltaschen steckte und sich furchtbar für den Fischgeruch schämte.
»Mein Name ist Raban von Roteneck, und Ihr seid die Jungfer Luginsland, die Tochter des Glasmalers«, sagte er freundlich. »Habt Ihr an einem Fischstand ausgeholfen?«
Lena biss sich auf die Lippen. »Ein, ähmm, ein Unfall. Ich suche nur das Loisl.«
»So, so.« Der Fremde musterte sie einen Moment lang amüsiert. Er sieht mir bis auf den Grund meiner Seele, dachte sie unbehaglich und senkte die Augen. Einladend bot er ihr den Arm.
»Kommt nur herein. Ich bringe Euch zur Louise.«
»Wie? Nein!« Sie hatte sich eigentlich eher ein klärendes Gespräch mit Loisl auf der frisch gescheuerten Schwelle des Pfleghofs vorgestellt. In Panik schaute sie sich um, doch die Straße lag schattig und still hinter ihr. Niemand war da, der sie aus dieser verstörenden Situation befreite.
»Doch, doch, kommt nur herein!«, drängte er freundlich. »Der Pater Pfleger und seine Leute sind gerade in der Kelter. Da kann ich Euch schon zu ihr führen.«
Zögernd trat Lena über die Schwelle in die kühle Dunkelheit des Hauses. Die Hand des Boten – kantig, waffengewohnt – legte sich auf ihren Arm, so dass sich all ihre Härchen aufstellten. An seinem mittleren Finger steckte ein Rubin, der ihr vage bekannt vorkam. Er war schön geschliffen, doch im dämmrigen Flur sah er fast schwarz aus. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie so sicher war, dass sich seine Spitze schon einmal in ihr Gesicht gebohrt hatte. Unwillkürlich glitt ihre Hand an ihre Wange, auf der die Narbe zwischen all den Sprenkeln verblasst war.
»Habt ihr den schon länger?«
Der Bote
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