Die Himmelsmalerin
weiter, dachte er benommen und fragte sich, ob die Brücke in die Zukunft tragfähig sein würde. Und plötzlich wusste er, dass er, um selbst weiterleben zu können, das dichte Gespinst an Lügen und Gewalt entwirren musste, in dem sich Lena und Valentin verfangen hatten. Mit oder ohne Lionel und Bruder Thomas. Er musste es tun, weil sie Freunde waren und weil er für Valentin mehr empfand, als er durfte.
Unter solchen Gedanken erreichte er die Gassen nahe des Franziskanerklosters, in denen dicht an dicht kleine Werkstätten lagen. Hier saßen die Menschen in den Hauseingängen und gingen ihren bescheidenen Berufen nach. Ein Ledernäher stach flink in ein Werkstück, das einmal ein Beutel für den Gürtel werden würde, und seine Frau rupfte eine Gans, dass die Federn bis zur gegenüberstehenden Häuserzeile flogen. Nebenan ließ eine alte Frau die Spindel so flink kreisen, dass sie in der Luft verschwamm. Es roch nach Blut, fetter Wolle und nach dem Mist des überall herumlaufenden Federviehs. Sie machten einen Bogen um eine Gruppe kleiner Kinder, die mit Murmeln spielten, und wichen einer Katze aus, die hinter einer Ratte her war, die aus einem Abfallhaufen hervorgeschossen kam.
Irgendwann wurde Kilian klar, wohin Lionel Jourdain sie führte. Als sie den Turm nahe des Wolfstors betraten, in dem Valentin seit einer Woche gefangen saß, begann sein Herz zu klopfen. Den Wächter hatte Bruder Thomas in den letzten Tagen mit so viel Kleingeld geschmiert, dass er seinem Laster, dem Saufen, bedenkenlos frönen konnte. Mit glasigen Augen und einem unterwürfigen Lächeln, bei dem es Kilian kalt über den Rücken lief, schloss dieser die Kerkertür auf. Das Gesicht in die Hand gestützt, saß Valentin an einem einfach gezimmerten Holztisch, las in einer Handschrift und schaute überrascht auf.
»Valentin!«, flüsterte Kilian, und sein Herz zog sich zusammen. Den Kerker hatte er sich schlimmer vorgestellt. Am Rande des kreisrunden Raums lag sauberes Stroh aufgeschüttet und bildete eine halbwegs annehmbare Lagerstatt, ein Kohlebecken verbreitete wohlige Wärme.
»Wie geht es dir?«, fragte Bruder Thomas besorgt, trat an den Tisch heran und begutachtete den Verband um Valentins gebrochenen Arm.
»Es tut fast nicht mehr weh.« Valentin musterte die Reihe seiner Besucher, nickte Kilian zu, schaute über den Hardenberger hinweg und streifte Josef mit einem unbehaglichen Blick, der sich mit stoischem Gesichtsausdruck neben der Eingangstür postiert hatte. »Nur krieg ich hier drin langsam den Kerkerkoller.«
»Wir werden sehen, was wir tun können«, sagte der Hardenberger leise.
Valentin zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Ach was«, gab er zurück. »Bin ich nicht mehr der einzige Verdächtige? Solltet Ihr Euch etwa auf die Suche nach dem wahren Täter gemacht haben?«
So bitter war Valentin sonst nie gewesen. Kein Wunder, dachte Kilian. Man hatte ihm übel mitgespielt.
Der Ritter räusperte sich. »In der Tat haben sich neue Umstände ergeben, die deine Täterschaft unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich machen.«
»Der Gassenjunge Fredi ist ermordet worden«, sagte der Glasmaler ruhig und wärmte seine Hände weiter an dem Kohlenbecken, das fast zu viel Hitze verströmte. Valentin schwieg. »Und Lena ist verschwunden.«
Kilian hörte, was Lionel dieser Satz kostete. Aber mit Valentins Reaktion hatte er nicht gerechnet. Er sprang vom Tisch auf, lief zur Tür und schlug mit aller Kraft gegen das Eichenholz, das seinen Weg in die Freiheit versperrte.
»Da draußen ist ein Mörder. Einer, der Kinder umbringt und Mädchen entführt. Versteht ihr nicht, dass ich Lena suchen muss, wie sie es für mich getan hat?«
»Valentin!« Bruder Thomas legte ihm den Arm um die Schulter. »Es ist klar, was du empfindest. Aber du kannst uns besser helfen, wenn du uns so genau wie möglich erzählst, was passiert ist, als du in Verdacht gekommen bist, Bruder Ulrich ermordet zu haben.«
Er führte ihn zum Tisch. Kilian sah, dass Valentins Wangen nass von Tränen waren und sein Gesicht Verzweiflung spiegelte. Er spürte eine merkwürdige Mischung aus Eifersucht und Mitleid. Wenn jemand nicht verdiente, was ihm geschah, dann war es Valentin. Aber warum war es Lena, die er liebte?
»Wir holen dich hier raus.« Unbeholfen legte er dem Freund die Hand auf den gesunden Arm. »Und dann finden wir Lena gemeinsam.«
Valentin schüttelte wieder und wieder den Kopf. »Sie hätte niemals nach dem Täter suchen dürfen.«
»Kannst du
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