Die Himmelsmalerin
Fluss. Dennoch war erst später Nachmittag, so dass ihm genügend Zeit blieb, die Gevatterin aufzusuchen, die, wie Valentin ihm erzählt hatte, während Pater Ulrichs Predigt auf dem Holzmarkt neben ihm gestanden hatte. Schnell erreichte er das Haus der wohlhabenden Patrizierfamilie, die, der Geruch ließ sich nicht verleugnen, ihr Geld im Weinbau und Weinhandel verdiente. Er schlug den Türklopfer an das massive Tor. Kurze Zeit später öffnete ihm eine junge Magd, die ihn mit großen Augen musterte. Lionel zwang sich ein Lächeln ab und fragte nach der Dame des Hauses. Das Mädchen bat ihn in einen dunklen, holzgetäfelten Flur, in dem er beinahe über die Überschuhe der Hausherrin stolperte, und führte ihn in ein teuer ausgestattetes Wohnzimmer. Ein Feuer glomm im Kamin, echte flämische Gobelins an den Wänden hielten die Kälte ab, und vor den Fenstern hingen, trotz der erst wenig fortgeschrittenen Jahreszeit, ölgetränkte Pergamente. Lionel setzte sich an den Tisch und ließ sich einen Wein servieren, den er mühelos als einen erkannte, der auf den Hängen seiner Heimat gewachsen war. Trotz einiger unliebsamer Erinnerungen schmeckte er ihm so gut, dass der Weinkelch fast leer war, als die Marchthalerin den Raum betrat.
Martha hatte nicht zu viel versprochen. Die üppige, blonde Frau in den Dreißigern konnte sich mit Patrizierinnen größerer Städte durchaus messen. Sie trug einen blauweißen Surcot aus Brokat und darunter eine spinnenfein gewebte weiße Cotte. Lionel schaute zweimal hin. Leistete sich die Frau wirklich werktags ein seidenes Unterkleid? Auch die mit staubkleinen Perlen bestickte Haube würde sich selbst bei Hofe nicht zu verstecken brauchen. Der Gemahl der Frau hielt sie alles andere als kurz. Doch etwas stimmte nicht. Die Marchthalerin hatte ein rundes Gesicht mit geröteten Wangen, aber um ihren Mund lag ein verbissener, bitterer Zug. Auch dir fehlt etwas, dachte Lionel beiläufig.
»Meister – äh – …«
»Jourdain«, half er ihr auf die Sprünge.
»O ja, ein echter Burgunder.« Die Marchthalerin lachte des doppeldeutigen Witzes wegen, goss sich selbst von dem edlen Tropfen ein und füllte Lionels Becher erneut. »Nehmt auch von den kandierten Kirschen. Die Apothekerin Renata stellt sie ganz vorzüglich her. Was verschafft mir die Ehre, dass ein gefragter Künstler sich in meine Stube verirrt?«
»Ihr könntet mir mit Euren Erinnerungen weiterhelfen.«
»Welche von Ihnen wollt Ihr denn?« Sie trank einen großen Schluck und blickte ihm dann tief in die Augen. Lionel rutschte aus ihrer Reichweite und fragte sich, ob die Putzsucht ihr einziges Laster war.
»Ach, ich weiß, Ihr seid der Tochter des Glasmalers Luginsland … nahegekommen. Ein fetter Batzen, die Stadtkirchenwerkstatt.« Sie lachte ein heiseres, tiefes Lachen.
»Wir werden uns verloben«, trat er die Flucht nach vorne an.
»Und da wollt Ihr von mir einen Rat in Kleiderfragen? Aber da muss ich Euch enttäuschen, an Eurer Braut ist, was Putz und Tand angeht, Hopfen und Malz verloren.«
Lionel nickte, froh, dass es so war. »Nein, mir geht es um den Mord an Pater Ulrich. Der wahre Täter sollte endlich gefunden werden, denn wie Ihr wisst, sind seither noch zwei weitere Morde geschehen, die zur Handschrift des Mannes passen.«
»Ach … ich dachte, Euch sei es ganz recht, dass Euer Nebenbuhler im Turm sitzt.« Die Frau nutzte ihre Zunge wie ein Krieger das Schwert. Touché!
»Es geht um die Wahrheit, Frau Marchthalerin, nicht um meine Befindlichkeit.«
»Nun, wie Ihr wisst, habe ich am Tag vor seinem Tod eine Predigt von Pater Ulrich gehört. Und der junge Steinmetz Murner stand neben mir. Er brach dann ziemlich plötzlich auf.«
»Weshalb tat er das?«
»Nun«, die Frau setzte sich zurück, so dass ihr großer Busen in ihrem Ausschnitt wogte. »Der Pater hat uns allen Angst gemacht. Sogar meine Perlenkette hat er genau gemustert und die Putzsucht der Weiber verdammt. Seither habe ich sie nicht mehr angerührt. Aber mein Gemahl will, dass ich mich standesgemäß schmücke. Schaut her!«
Um ihren Hals lag ein Collier aus wasserblauen Aquamarinen, das perfekt mit ihren Augen harmonierte. Lionel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Und dann sprach er vom Gleichnis des Dieners zweier Herren, und Murner verließ Hals über Kopf den Platz.«
Lionel erhob sich, fast erleichtert, dass bei diesem anstrengenden Gespräch nichts Neues herausgekommen war, verbeugte sich und wandte sich zur Tür.
»Und dabei
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