Die Himmelsmalerin
sie von etwas abhalten, das sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat?«
Wie unmöglich das war, hatten sie in den gemeinsamen Jahren ihrer Kindheit gelernt. Lionel, der noch immer im Hintergrund stand, nickte Kilian grimmig zu. Zum ersten Mal fragte dieser sich, ob die logische Konsequenz ihrer Ermittlungen nicht sein musste, dass Prior Balduin Lena entführt hatte. Nein, dachte Kilian dann. Gestern hatte der Prior Lena nur als sein Anhängsel betrachtet, als ein Etwas, das seinen Favoriten von ihm entfernte und das es deshalb zu beleidigen galt. Für ihn war sie nicht bedeutend genug. Aber wer hatte die Morde dann begangen?
»Wir müssen von vorne anfangen«, sagte Lionel und ging vor Valentin in die Hocke. »Wo hast du Pater Ulrich kennengelernt?«
Valentin runzelte die Stirn. »Den kannte doch jeder. Der hat doch immer auf den Plätzen gestanden und den Leuten die Hölle heißgemacht.«
»In der Tat. An jeder Ecke hat er seine Predigten gehalten und dabei viel Volk angezogen.« Bruder Thomas stützte sich auf die Tischkante. »Wer weiß, wem die Dinge, die er gesagt hat, sauer aufgestoßen sind.«
»Ihm da sicher.« Der Hardenberger deutete mit dem Kinn auf Valentin. »Am Tag, bevor er starb, hat Pater Ulrich vor der Franziskanerkirche gepredigt, und Valentin war unter seinen Zuhörern. Dann hat er den Platz so schnell es ging verlassen. Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum?«
»Weil …« Valentin raufte sich die Haare. »Er hat mir Angst gemacht.«
»Das verstehe ich«, sagte Lionel bitter.
»Er hat irgendetwas gesagt, was Biblisches, und mir dabei in die Augen geschaut, als würde er nur mich damit meinen. Ich … ich … hatte das Gefühl, als sperre er mich aus dem Himmel aus.« Er legte sein Gesicht in seine großen Hände mit den eckigen Fingerspitzen.
»Weißt du noch, was genau es war, das er gesagt hat?«
»Irgendwas vom Diener zweier Herren. Aber ich konnte mir schon da keinen Reim darauf machen.«
Kilian runzelte die Stirn und schaute Bruder Thomas fragend an, der den Kopf schüttelte. »Wie sollte das Gleichnis vom Diener zweier Herren Valentin betreffen? Zwischen Gott und dem Mammon hat er nun wirklich nicht zu entscheiden.«
»Und wenn er etwas anderes gemeint hat.«
»Aber was? Das ergibt keinen Sinn.«
Kilian biss die Zähne zusammen. Alles war so verfahren.
»Und wann bist du ihm wieder begegnet, Murner?«, mischte sich der Hardenberger mürrisch ein.
Valentin musterte ihn kalt. »Als er in meinen Armen gestorben ist.«
Die Härchen an Kilians Armen richteten sich auf. »Aber warum hast du da nicht die Wache gerufen?«
Valentins blaue Augen richteten sich auf ihn. »Ich habe in diesem Moment gar nichts gedacht. Nur an meinen Vater. Außerdem, wer hätte mir schon geglaubt?«
Kilian nickte unwillig.
»Und dann?«, fragte Bruder Thomas.
»Den Rest kennt ihr.«
»Das ist ja eine magere Ausbeute.« Der Hardenberger wandte sich zur Tür. »Wir werden sehen, was wir für dich tun können, Murner. Aber halte dich bereit für weitere Fragen.«
Josef folgte ihm, nicht ohne vorher einen Blick auf Valentins geschienten Arm zu werfen. Als Kilian ihm nachgehen wollte, stand Valentin plötzlich auf und umarmte ihn. Ganz nahe war er ihm, Wange an Wange, so nah, dass Kilian seine fettigen Haare und seine ungewaschenen Kleider riechen konnte. Trotzdem war er nie glücklicher gewesen.
»Danke«, sagte sein Freund und hielt ihn einen Moment an den Schultern fest. Kilian war so verwirrt, dass ihm keine Antwort einfiel. Als er hinter Bruder Thomas durch die Tür ging, sah er, wie Valentin Lionel etwas zuflüsterte. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
39
»Lionel!« Die Küche war von oben bis unten voller Qualm. Sanna stand auf einem Schemel vor der Feuerstelle und rührte mit aller Kraft im Kessel, in dem es verdächtig laut blubberte. Suppenlachen schossen über den glühend heißen Rand und landeten auf Sannas Rock und dem Boden, wo sich schon eine Pfütze gebildet hatte.
» Mon Dieu! « Lionel hob die Kleine von ihrem Hocker. Er nahm den Kessel vom Dreizack und setzte ihn auf den Steinboden, wobei einige heiße Spritzer auf seine Arme flogen.
»Was machst du nur?« Er bückte sich und packte Sanna an den Schultern. Tränen stiegen in ihre Augen. Der Dampf hatte ihre Wangen rosenrot gefärbt.
»Es ist nur, weil …« Sie schniefte leise und traurig. »Die Martha und der Meister Heinrich, die kommen gar nicht mehr aus der Stube.«
Er nickte. »Und da hast du gedacht, du
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