Die Himmelsmalerin
Fensterrechteck hoch oben in der Wand, und die Öllampe flackerte – ein klares Zeichen dafür, dass sie bald verlöschen würde. Ich muss hier raus, dachte er verzweifelt, wie schon hunderte Male zuvor. Aber es gab keinen Weg, außer dem durch die Tür, die so lange fest verschlossen blieb, wie es dem Rat der Stadt Esslingen gefiel. Wohl hundertmal hatte er mit seiner gesunden Hand an diese Tür gepoltert und den Zorn des Wächters auf sich gezogen, der ihm, sollte er nicht damit aufhören, mit der Folter drohte. Er hatte auch versucht, den Tisch an die Wand zu schieben und von dort an der viel zu glatten Mauer zum Fenster hochzuklettern, doch sein Arm war noch immer geschient. Unbeweglich hing er in seiner Schlinge und machte alle Bemühungen zunichte.
»Verflucht!«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
In diesem Moment drehte sich der Schlüssel im Schloss. Valentin blieb fast das Herz stehen. Kamen sie, um ihn zu befreien oder um ihn doch noch zur peinlichen Befragung zu schleppen? Daumenschrauben waren das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Gebannt schaute er zur Tür, die nun fast im Dunkeln lag. Ein junger Mann in luxuriöser Kleidung trat ein und warf seinen Mantel zurück.
»Du kannst den Mund wieder zumachen«, sagte Kilian gönnerhaft. Hinter ihm standen zwei bis an die Zähne bewaffnete Stadtwächter.
Valentin schluckte. »Du?«
»Wer sonst?«
»Aber ….«
»Weißt du was? Wir besprechen das besser draußen, sonst überlegt sich’s der Wärter noch anders. Zuverlässige Schnapsquellen wie dich lässt er ungern ziehen.«
Valentin nahm seinen Mantel und folgte Kilian durch die Tür in den finsteren Gang hinaus. Ohne zurückzublicken verließen sie den Turm. Freiheit! Die ersten Sterne standen im Blau über der Stadt. Tief sog Valentin die Luft ein, die nach Herbstlaub schmeckte, nach Küchenfeuer und ein bisschen nach Maische und Mist. Er hatte nicht gedacht, dass Esslingens Herbstgeruch ihm so willkommen war.
»Komm, Mann!«, sagte einer der Stadtwächter und hob seine Hellebarde. Und Valentin folgte Kilian, der eilig voranging.
»Wie hast du das geschafft?«, fragte er und hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
»Warte!« Kilian lief stur geradeaus und brachte dadurch ein Stück Weg zwischen die Gruppe und den Kerker. An der Ecke zum Franziskanerkloster blieb er stehen und drehte sich zu Valentin um.
»Wie war’s nun also?«, drängte der.
»Dem Hardenberger wäre es recht gewesen, dich noch ein bisschen schmoren zu lassen. Und so dachte ich erst, ich lasse mir mein Erbe auszahlen und besteche den Wächter, damit er dich befreit und dann in einem riesigen Schnapsfass ersäuft. Aber dann erschien mir das zu … umständlich.« Kilian trat einen Stein beiseite. In seinen Augen glitzerte der Schalk. »Ich habe für dich gebürgt. Dass du dich in deinem Asyl im Franziskanerkloster anständig benimmst und dort den Prozess mit dem König abwartest. Es hat ein paar Münzen gekostet, aber mein Onkel hat ja genug davon.«
»Aber …« Enttäuschung schwappte über Valentin hinweg wie eine schwarze, lähmende Welle. Kilians Hand legte sich auf seinen Arm, und seine dunklen Augen suchten seinen Blick.
»Ich weiß, dass du Lena suchen willst. Aber das geht nicht so ohne weiteres, denn wir haben keinerlei Anhaltspunkt, wo sie stecken könnte. Im Kloster können wir Pläne schmieden und gemeinsam nachdenken.« Mit einem Ton in der Stimme, der seine vornehme Herkunft nicht verheimlichte, rief er die Wachen herbei.
»Ihr könnt gehen!«, sagte er gönnerhaft und steckte beiden eine Münze zu. »Ich werde den Gefangenen selbst im Kloster abliefern.«
»Aber«, sagte der eine, während sein Kumpan mit einem Eckzahn das Geldstück auf seine Echtheit überprüfte. »Bruder … ähh, Herr Kilian, wir sollten …«
Er wischte die Bedenken des Mannes mit einer großzügigen Geste beiseite. »Prior Johannes erwartet den Murner schon. Also macht euch einen schönen Abend. Das Wirtshaus hat sicher noch auf.«
Die Männer verschwanden hinter der nächsten Ecke, und Valentin schüttelte den Kopf. »Man nimmt dir das reiche Weinhändlersöhnchen problemlos ab!«
Kilian warf den pelzgesäumten Mantel zurück. Darunter kam ein ebenfalls schwarzes knielanges Übergewand zum Vorschein, das ein blütenweißes Hemd bedeckte. Die Male am Hals waren zu bräunlichen Flecken verblasst. »Ich bin ein reiches Weinhändlersöhnchen, jedenfalls mütterlicherseits. Hin und wieder ist es
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