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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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Kind aber packte den Hermelinmantel des Herrschers und vergrub seine rundlichen Fäuste darin. Ludwig lachte freundlich, als die Mutter die kleinen Hände unter Entschuldigungen löste, und wies seinen Seneschall an, ihr eine Münze zuzustecken. Jubel brandete auf. Keine Spur mehr davon, dass Esslingen noch vor einigen Jahren seinem Widersacher Friedrich von Habsburg ewige Treue geschworen hatte. Die Menschen lieben ihn, dachte Lionel beklommen.
    Hinter dem König schritt sein Gefolge einher: Ritter und Wachen in farbenprächtigen Waffenröcken, Höflinge und bunt gekleidete Damen. Lionel hielt Ausschau nach Raban von Roteneck und entdeckte ihn unter den Rittern des Königs – einer von vielen, die mit ihrem Schwert seine Sicherheit garantierten und für ihn in die Schlacht zogen. Er unterhielt sich freundlich mit seinem Nebenmann und ließ niemanden ahnen, was er im Schilde führte. Der Chor füllte sich jetzt auch langsam mit den Esslinger Ehrengästen, die an diesem Tag die Ersten sein sollten, die die Geschichte des Gottessohns im funkelnagelneuen Chorfenster betrachten durften, darunter der Rat, die Zunftmeister, verschiedene Mitglieder der Esslinger Patriziergeschlechter, der Stadtpfarrer, die Kapläne und die Obersten der Klöster. Unter ihnen war auch Prior Balduin, der Lionel herablassend zunickte. Sie alle nahmen an den Seiten des Chors Aufstellung und ließen die Mitte frei für den König und seine Getreuen. Als Ludwig den Chor betreten hatte, brandete der Gesang der Mönche auf und trug sie wie ein auf und ab wogendes Schiff. Ludwig grüßte nach links und rechts und beugte vor dem Obersten der Franziskaner das Knie, der ihn segnete. Danach nahm er auf dem prächtig geschnitzten Holzthron Platz, den man ihm zu Ehren in die Mitte des Chors gestellt hatte, und wandte seine Augen bewundernd dem Chorfenster zu. Hinter ihm baute sich sein Gefolge in fester Rangordnung auf. Roteneck stand im Kreis der Ritter in der zweiten Reihe hinter dem König und grüßte Lionel mit einer höflichen Neigung des Kopfes. Danach folgte ein Wolfslächeln, das weiße, gesunde Zähne und die Kälte seines Herzens offenbarte. Lionel übersah ihn und zählte die Menge durch, die inzwischen den Chor bevölkerte. Was würde geschehen, wenn es so viele wurden, dass sich einige unter das Fenster stellen mussten? Nervös putzte er seine feuchten Hände an seinem Obergewand ab und schaute nach oben. Noch hielt es, aber lief da nicht ein feuchter Streifen Wachs wie eine Träne die Senkrechte hinab?
    Da winkte ihn der König zu sich heran. Lionel folgte dem Ruf und sank in eine tiefe Verbeugung, doch Ludwig hieß ihn, aufzustehen und noch näher zu treten.
    »Trefflich, trefflich, Lionel!«, sagte er. »Das habt Ihr gut gemacht, würdig des Gottessohns und des heiligen Franziskus gleichermaßen.«
    Sein Mund war staubtrocken, so dass er nichts anderes konnte, als ihm zuzunicken. Doch als er sich zurückziehen wollte, hieß ihn der König an seiner Seite zu bleiben. »Wer, wenn nicht der Meister selbst, sollte den ersten Blick auf das Leben Christi haben, das hier so detailgetreu dargestellt wurde.«
    Bevor sich Lionel neben den König stellte, fing er Rotenecks triumphierenden Blick auf, und sein Magen drehte sich um. Dann begann der Prior seine Ansprache, in der er das Leben Christi als Heilsbringer anhand der typologisch aufgebauten Fenster erläuterte, und er beobachtete die Fenster weit über ihm. Er wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie aus ihrer Verankerung brachen, doch er brauchte diesen einen Moment, der die Welt ins Chaos stürzte.
    Vielleicht würde das ganze Fenster zu Staub zerbersten, platzen, explodieren, wie das manchmal mit Gläsern geschah, die unter der falschen Spannung standen. Vielleicht würde es Menschen verletzen oder töten. Noch nie hatte er seine eigenen Glasfenster als Waffe benutzt.

    Die Fanfaren waren verklungen, mit denen Esslingen den Besuch des Königs feierte. Jetzt würden sie alle in der Kirche sein, das neue Glasfenster bewundern und dort hoffentlich eine Weile bleiben. Valentin stand auf, öffnete die Tür seiner Zelle und trat auf den Gang hinaus. Die Vögel waren allesamt ausgeflogen. Grimmig und ziemlich wütend hatte ihn der Arzt beim Hardenberger ausgelöst, der ihn eigentlich wieder in den Turm werfen lassen wollte, und ihn ins Asyl im Franziskanerkloster zurückgebracht. Jetzt saß er zwar im Arrest, aber das war immer noch besser als der Turm und die peinliche Befragung. Als ihm der

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