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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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ins Kloster gebracht hatten. Vielleicht konnte ihn ja Bruder Thomas retten, falls er ihn früh genug in die Finger bekam. Mit letzter Kraft schoben und zogen sie ihn bis zur Hälfte der Treppe. Das fremde Mädchen hielt Kilian von hinten fest. Dann aber hörten sie, wie in der Küche ein Stuhl umfiel. Der ausgesperrte Wächter hatte zwar die Tür nicht öffnen können, aber am Küchenfenster ließ sich der Laden von außen entfernen und bot ihm eine Einstiegsmöglichkeit.
    »Hundsfott verdammter«, rief er. »Was soll das, mich in der Kälte stehenzulassen?«
    »Übernimm ihn mal!«, sagte Valentin und legte dem zweiten Mädchen Kilians Arm um die Schultern. Keinen Moment zu früh, denn die Küchentür öffnete sich, der Wächter stand darin und machte ein ziemlich dummes Gesicht.
    »Was …?«, fragte er, doch er kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden, denn Valentin stieß ihm das Eisen mit aller Kraft in die Seite. Er hatte getan, was notwendig war, und keinen Moment lang gezögert. Blut schoss aus der Bauchwunde, die der Mann überrascht betrachtete.
    »Ihr …« Mit einem Gurgeln in der Stimme brach er vor ihren Augen zusammen. Valentin wusste nicht, ob der Mann tot war, er fühlte einfach gar nichts, keinen Hass, kein schlechtes Gewissen. Es kam nur darauf an, dass sie, so schnell sie konnten, das Haus verließen. Er tauschte wieder mit dem fremden Mädchen und schob gemeinsam mit Lena Kilian ein Stück weit zur Tür. Da hörten sie hinter sich eine Bewegung, der Schatten eines erhobenen Schwertes tanzte über die Wand, und keinem von beiden gelang es, sich schnell genug umzudrehen und davonzulaufen. Zu spät, dachte Valentin mit einem Hauch von Bedauern. Doch dann ertönte ein lautes und metallisches »Klong«, der Schatten brach langsam in die Knie und stürzte auf den Boden, wo er wie ein gefällter Baum liegenblieb.
    »Danke, Loisl!«, sagte Lena trocken. Während sie gemeinsam den Verletzten gehalten hatten, hatte sich das fremde Mädchen in der Küche mit einer Bratpfanne bewaffnet, von der sie kaum einen Moment später Gebrauch machen konnte.
    »Ich musste sowieso für die Mistkerle kochen und kannte mich deshalb aus«, sagte sie und zuckte die Schultern. Sie lispelte, und Valentin sah jetzt auch, warum: Einer der Spießgesellen, – oder war es Roteneck selbst gewesen? – hatte ihr einen Vorderzahn ausgeschlagen, was ihrem Lächeln etwas Herausforderndes gab. Jetzt waren beide Wächter außer Gefecht gesetzt. Loisl entriegelte die Tür, und sie zerrten Kilian über die Schwelle auf die Gasse. Weit über ihnen funkelte ein einzelner Stern.
    »Wohin?«, fragte Lena, auf deren Oberlippe Schweißtropfen glänzten.
    »In die Kirche«, stieß Valentin hervor. »Dort spricht der König für uns Recht.«

    Er schaute zu seinen Fenstern hinauf, deren Farben im Licht des Spätnachmittags verblassten. Sobald die Sonne verlosch, zog sich der Zauber des Lebens aus den Glasfenstern zurück und hinterließ einen toten Gegenstand, der aus farbloser Substanz und hellgrauen Bleistreifen bestand. Ganz so leblos waren seine sechs Fenster nicht. Auch während der langen Predigt des Priors hörte er, wie sie leise knacksten und vor sich hin flüsterten. Bald war es so weit. Und es wurde Zeit. Im Chor lag die Dämmerung und ließ sich auch von den vielen halb abgebrannten Kerzen nicht vertreiben. Was wäre, wenn er sein Ziel nicht mehr ins Auge fassen konnte? Er brauchte nichts als den richtigen Moment. Und der kam, kurz bevor ihm die Glasfenster vor Müdigkeit vor den Augen verschwammen. Das Knacksen wurde lauter und ließ die Blicke der Gottesdienstbesucher nach oben wandern.
    »Aber, Lionel!«, rief Meister Heinrich alarmiert.
    Es tut mir leid, dachte er und zog den Dolch aus seinem Stiefel. In diesem Augenblick geschahen mehrere Dinge auf einmal. Die erste Glasscheibe löste sich aus ihrer Verankerung und zerbarst krachend auf dem Boden. Besucher schrien auf und drängten sich in Richtung der Menschenmenge im Langschiff, die wie eine riesige Meereswoge in Bewegung geriet. In dem Durcheinander nahm niemand wahr, dass Lionel sich hinter den König stellte und den Dolch an seinen Hals setzte.
    »Lion …«, protestierte dieser ungläubig. Seine Hand wanderte zu seinem Schwertgurt, doch die scharfe Klinge schob sich schneller über seine Kehle, als er seine Waffe aus der Scheide ziehen konnte. Dann fiel das zweite Fenster, und die Masse aus dem Chor drängte mit Macht durch die Arkaden des Lettners.
    »Bewahrt doch

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