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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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erschaffen.«
    »Natürlich!« Sie nickte.
    »Sie sind geronnener Geist.«
    »Mein Großvater hat immer gesagt, sie sind ein Stück von Gottes Licht. Aber ich glaube, dass sie vielleicht auch ein Stück der Seele des Glasmalers in sich tragen«, flüsterte sie. »Ein klitzekleines. Und darum ist ein Glasmaler ein Himmelsmaler.«
    Im selben Moment schämte sie sich der Kühnheit, mit der sie immer ihre Gedanken aussprach. Er blickte auf sie herunter, und über die offenen braunen Augen zog sich ein Schleier wie eine Tür, die sich ganz plötzlich schloss.

10
    In diesem Moment öffnete sich eine Pforte, und die Mönche zogen in einer langen Reihe singend zum Stundengebet ein. Lena und Lionel unterbrachen ihre Arbeit und warteten die Gebetszeit in der Sakristei ab, die nahe genug lag, um die lateinischen Psalmen mit ihrem Frage- und Antwortgesang zu hören. Danach richtete Prior Johannes eine Ansprache an seine Mönche. Mühelos drangen seine Worte durch die Tür, bei deren Inhalt es Lena eiskalt wurde.
    »Etwas Unfassbares ist heute in der Stadt geschehen«, sagte er. »Gerade eben habe ich es erfahren. Ein Mann Gottes wurde mitten aus dem Leben gerissen. Lasst uns beten für unseren verstorbenen Bruder, Pater Ulrich von Teck. Verdienstvoll war er und voller Demut, ein Vorbild für uns alle.«
    Lionel neben ihr schnaubte.
    »Der Herr sei seiner Seele gnädig.«
    »Amen«, antworteten die Mönche.
    »Lasst uns hoffen, dass man seinen Mörder bald finde«, schloss der Prior.
    Lena schlug die Hand vor den Mund. »Aber …«
    Sie drehte sich zu Lionel um, der so grau geworden war wie die Steinwand in seinem Rücken. »Aber er hat doch gestern noch gelebt«, flüsterte sie. »Er hat sogar gepredigt, hier vor der Kirche …«
    »Man kann sehr schnell vom Leben zum Tode kommen«, sagte Lionel ausdruckslos. »Schneller, als man denkt.«
    Geschockt ließ sich Lena auf einen Holzschemel fallen. Lionel starrte die Wand an. Wie erstarrt warteten sie, bis die Mönche in einer langen Prozession die Kirche verlassen hatten.
    »Wir müssen nur noch aufräumen«, sagte Lionel schließlich und ging ihr voraus in den Chor, wo sie Bruder Thomas trafen.
    »Ah, Meister Lionel, ich habe auf Euch gewartet. Und das hier ist, wie war noch Euer Name?«
    »Lena«, flüsterte sie. »Was ist geschehen?«
    Er blickte sie mit seinen kühlen, grauen Augen abschätzend an. »Der Mord erschüttert ganz Esslingen … Kein Wunder, dass Ihr außer Euch seid.«
    Sie folgte ihm in die Sakristei. Lionel Jourdain blieb im Chor der Kirche und räumte in aller Ruhe sein Werkzeug zusammen, als würde ihn der Tod des Dominikaners gar nicht betreffen.
    »Man hat Bruder Ulrich heute Morgen am Ufer des Neckarnebenarms gefunden. Seine Leiche lag auf den Stufen zum Wasser.« Thomas strich sich durch den grauen Bart. »Er war ein Eiferer, einer, der seine Sicht der Dinge allen anderen aufzwingen wollte. Aber dennoch – das hat er nicht verdient.«
    »Meint Ihr?« Lionel stand in der Tür und hatte seine Hand lässig an das obere Rahmenholz gelegt.
    »Aber wer ist imstande, so etwas zu tun?«, fragte Lena.
    »Fragt lieber nicht, wer es getan hat, sondern warum es geschehen ist«, sagte der Burgunder leise.
    »Aber die Frage nach dem Schuldigen ist schon geklärt«, sagte Bruder Thomas. »Es war der junge Valentin Murner, der Steinmetzlehrling, der gestern bei Eurem Va…«
    Das Blut in Lenas Kopf rauschte lauter als ein Gewitterregen. Mit einem Schlag sackte es in ihre Beine und hinterließ nichts als schwarze Leere. Sie erwachte auf dem kalten Steinboden der Sakristei, die Füße auf einem Schemel hochgelegt.
    »Nun macht schon!«, drängte der Arzt. Aus dem Augenwinkel sah Lena, wie der Burgunder den Rest Wein aus ihrem Krug in einen der mitgebrachten Becher goss und Bruder Thomas reichte.
    »Trinkt!«, befahl dieser, half ihr, sich aufzusetzen und hielt ihr den Becher an den Mund. »Aber langsam und vorsichtig.«
    Trotzdem geriet ihr der Wein in den falschen Hals, und sie hustete sich fast die Seele aus dem Leib. Bruder Thomas klopfte ihr sanft den Rücken, bis es ihr wieder besserging. Unsicher schaute sie sich um, schob sich hoch und ließ sich auf einen der hölzernen Stühle fallen. Valentin, ein Mörder? Nein, das konnte nicht sein.
    »Verständlich, dass die Nerven mit Euch durchgehen, Jungfer Lena«, sagte der Franziskaner. »Den jungen Mann zu kennen, der des Mordes verdächtigt wird, das scheint mir noch härter, als von dem Mord selbst zu

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