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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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herstellen lassen können, aber was er konnte, erledigte er gerne selbst. Er schaute sich nach dem Schmelzmeister um, der ihm kurz zunickte, nahm das Blasrohr mit dem unförmigen Klumpen und steckte es mitten in die Flammen. Mit der Sicherheit eines Schlafwandlers wusste er, wie viel Luft aus dem mit Kupferoxid gefärbten Grundstoff ein dunkelrotes Glas in passender Stärke machen würde, und blies genau diesen Luftstrom hinein. Die Hitze versengte ihm die Kehle, und der Schweiß lief ihm in salzigen Tropfen übers Gesicht. Er formte eine brennend heiße Blase, die immer größer wurde, wie das Herz eines lebendigen Wesens voller sanft pulsierender Blutadern. Als es bereit war, zog er es aus dem Feuer, schwenkte es, bis eine flache Scheibe Mondglas entstand und legte es zum Abkühlen auf eine Steinplatte. Dann zog er das Blasrohr vorsichtig heraus, so dass in der Mitte ein erhabener Glasknopf zurückblieb. Kundig prüfte Meister Luginsland die Farbe und Konsistenz der Scheibe und nickte dann. Lionel war schon mehrmals aufgefallen, wie nah der alte Meister den Gegenständen kommen musste, die er betrachten wollte. Er würde nicht mehr lange arbeiten können. Kein Wunder, dass sie da versuchten, den Tübinger Glasmaler an die Werkstatt zu binden. Das Mädchen hatte atemlos gewartet, bis das Glas fertig war, und legte ihre Hand nun über die ihres Vaters.
    »Ist es gut geworden?«, flüsterte sie und strich ihre verschwitzten Haare hinter die Ohren.
    »Meisterlich«, murmelte der Alte.
    Perfektion war für Lionel nichts Besonderes. Während er das blaue Glas vorbereitete, dessen Grundstoff er Kobaltoxid zusetzte, sah er ihre Haare im Schein des Feuers glänzen – Feuerschlangen, wie die Flammen im Ofen. Madeleine war so schön, dass sie auch am Hofe des Königs bestehen konnte, und sie hatte Persönlichkeit. Doch diese Kleinstädter wollten sie an einen nichtsnutzigen Gecken verscherbeln. Welche Verschwendung! Jetzt hob sie die Hand, strich sich mit einer schnellen Geste die Haare hinter die Ohren und lächelte ihn an, verschmitzt, warm und offenherzig. Es war also tatsächlich wahr! Diese junge Frau kratzte an dem Panzer, den er nach Joèlles Tod rund um sein Herz gelegt hatte. Jahrelang hatte er wie besessen gearbeitet, hatte die Welt bereist und Glasfenster von vollkommener Schönheit erschaffen, so oft und so lange, bis er sein Handwerk ohne nachzudenken beherrschte. Er hatte gelacht, getanzt, hin und wieder mit einer Hure geschlafen und seinen Wein mit so manchem Fürsten geteilt. Doch alle, die dachten, dass er den Tod seiner Frau überwunden hatte, irrten sich. Er war ein wandelnder Toter mit geschickten Händen, das Reisen eine einzige Flucht vor sich selbst. Aber jetzt war Frère Mort tot, und vielleicht würde Joèlles Seele endlich Frieden finden und er selbst ein neues Leben.
    Das blaue Mondglas war dunkel und schwer wie der Abendhimmel und fast so undurchsichtig. Doch gerade deshalb würden die Scheiben der Franziskanerkirche strahlen wie ein sonniger Tag im Frühherbst, wenn der Tau unter dunkelblauem Himmel auf goldgrünen Weinblättern liegt, die den Sommer getrunken hatten.
    »Sagt, Meister Lionel.« Ihre Stimme war so hell wie eine Glocke. »Wann werdet Ihr die gelben Gläser blasen?«
    Er lächelte, hatte die Frage halb erwartet. »Jetzt«, sagte er und setzte die Eisenmischung an. Aber das war nicht alles. Um das Gelb rankte sich ein Geheimnis, das er ihr offenbaren würde, wenn die Zeit dafür reif war.

12
    Lena trat auf den Hof hinaus, über dem die Sonne sich langsam nach Westen senkte. Der Platz, kahlgeschlagen mitten im Buchenwald, bildete ein großes Rund um die Glashütte, aus der ein langer Schornstein ragte.
    Nach der Hitze in der Nähe des Ofens erschien es ihr hier draußen frisch und windig. Sie waren hoch über der Stadt im Schurwald, der den Menschen mit seinen Mischwäldern einen bescheidenen Lebensunterhalt als Köhler und Holzfäller ermöglichte. Lena, Meister Heinrich und Lionel Jourdain hatten fast den gesamten Vormittag für den Aufstieg aus dem Neckartal gebraucht. Nachdem die Gläser für den ersten Schwung Fenster nun geblasen waren, würden sie sich beeilen müssen, um noch durchs Stadttor zu kommen. Sie seufzte und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Valentin war noch immer verschwunden. Seine Mutter Ruth, die als Augustinerlaienschwester im Spital arbeitete, sorgte sich fast zu Tode um ihn. Lena hatte sie erst gestern gefragt, ob sie wusste, wo er sich versteckt

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