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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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erfahren.«
    Lena schüttelte den Kopf. Zwischen ihren Augen erschien eine eigensinnige Falte.
    »Nie und nimmer hat Valentin Pater Ulrich umgebracht.«
    »Weshalb seid Ihr Euch da so sicher?«, fragte Meister Lionel. »Oder wisst Ihr, was der Junge die ganze Nacht über getrieben hat, jede Minute lang?«
    Zornig funkelte sie den Burgunder an. »Valentin ist mein Freund, und er bringt keine Leute um. Das tut er einfach nicht.« Sie schnappte sich den Korb und wollte gehen. »Wartet!«, rief Bruder Thomas. »Vielleicht habt Ihr ja recht.«
    Sie drehte sich um und sah den Franziskaner abwartend an.
    »Man hat den Jungen bei der Leiche gefunden, frühmorgens. Er ist dann geflohen. Niemand weiß, wo er ist.« Er schüttelte den Kopf. »Aber einen plausiblen Grund, Bruder Ulrich zu töten, hat er sicher nicht gehabt.«
    Lionel zielte auf einen Eimer und warf mit einer nachlässigen Geste den Hammer hinein. »Seltsam, ich kenne hundert Leute, die einen Grund gehabt hätten, Frère Mort umzubringen, und ausgerechnet diesem Jungen, der keinen hat, gelingt es.«
    »Frère was?«, fragte Lena.
    »Bruder Tod«, sagte Lionel Jourdain beiläufig. »Grund hin oder her. Wenn das Kirchengericht einen Verdächtigen hat, richtet es ihn, egal, ob er schuldig ist oder nicht.«
    In Lenas Augen traten Tränen.
    »Nun.« Der Arzt stand auf und zog seine Kutte gerade. »Wenn der Junge wirklich unschuldig ist, sollten wir uns beeilen.«
    Lionel sah ihn überrascht an. »Beeilen – womit?«
    »Wir sollten den Toten in Augenschein nehmen, bevor man ihn begräbt. Sehr lange kann das bei diesem Wetter nicht dauern.«
    Lena blieb der Mund offen stehen, und selbst Lionel fiel nichts mehr ein.
    »Nun«, sagte der Franziskaner geduldig. »Ihr habt gesehen, was ich bin. Ein Physicus, der in Ohnmacht gefallenen Jungfern die Füße hochlegt. Ein studierter Doktor der Medizin, aber einer, der im Laufe seines langen Lebens ein Arzt der Lebenden und der Toten gewesen ist.«
    »Aber wozu brauchen die ….«
    »Toten einen Arzt?« Der Franziskaner lachte bitter. » Mortui vivas docent . Die Toten erzählen einem manchmal selbst, wer ihr Mörder war. Man muss ihre Sprache nur verstehen.«
    Lionel schüttelte den Kopf. »Ich fass es nicht. Ein Arzt der Toten.«
    Er öffnete die Tür und verbeugte sich spöttisch. »Also lasst uns gehen und Frère Mort einen allerletzten Besuch abstatten!«
    Voller Tatendrang drängte sich Lena durch die schmale Tür der Sakristei auf die Straße. Valentins Unschuld musste bewiesen werden, bevor es zu spät war.
    Die schlechte Nachricht hatte sich in Windeseile verbreitet. Überall standen die Leute in Gruppen zusammen und diskutierten über den brutalen Mord. Und immer wieder hörte Lena Valentins Namen. »Ein Mörder, dahergelaufen, ohne Vater.« Beim »Speyrer Gesindel« zuckte sie zusammen und verbarg sich im Schatten des Burgunders, der ihnen mit stoischer Gelassenheit den Weg bahnte.
    Sie mussten quer durch die ganze Stadt. Das Dominikanerkloster lag am anderen Ende, in Richtung des Mettinger Tors, hinter dem Esslinger Spital mit seiner Vielzahl von Gebäuden. Ganz nahe war die Baustelle der Liebfrauenkapelle, auf der Meister Heinrich heute vergeblich auf seinen Lehrling gewartet hatte.
    »Sie werden ihn in der Sakristei aufgebahrt haben«, murmelte Thomas vor sich hin, während sie die Kirche betraten. Anders als das Gotteshaus der Franziskaner war die Kirche der Predigerbrüder nicht so hoch, dafür aber durch zwei schwungvolle Arkadenbögen zu den Seitenschiffen hin gegliedert. In schöner Regelmäßigkeit reihten sich die Joche bis zum Chorraum auf.
    »Wie in Straßburg«, sagte Lionel anerkennend, während Bruder Thomas auf die Sakristei zusteuerte und die Tür aufschob. Lena hielt den Atem an. Was würde der Anblick des Toten dem Arzt verraten?
    Sie hatten Pater Ulrich unter dem Kreuz aufgebahrt. Rund um den Toten flackerten Kerzen im Luftzug. Drei junge Mönche im schwarzweißen Habit der Dominikaner hielten die Totenwache und drehten sich missbilligend nach ihnen um. Einer von ihnen erhob sich. Es war Kilian.
    »Was wollt Ihr?«, fragte er ungehalten.
    »Wir wollen meinem toten Bruder im Herrn die letzte Ehre erweisen«, erklärte der Franziskaner ungerührt und näherte sich Pater Ulrich, während sich seine Lippen im Gebet bewegten. Über dem Toten schlug er das Kreuzzeichen. Von plötzlicher Scheu erfüllt blieb Lena in der Tür stehen. Der Burgunder versperrte hinter ihr den Durchgang. Lena sah den Toten

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