Die Himmelsmalerin
Körper wandern ließ. Dann bohrte er die Spitze seines Messers in den Stoff ihres hellgrünen Kleides, das an dieser Stelle zerriss. Unwillkürlich rutschte sie ein Stück nach hinten, doch die Spitze folgte ihr.
»He, Schlappschwanz, wenn du aufmuckst, ist deine kleine Buhle tot«, rief der Anführer Lionel zu und gab dann seine Anweisungen. »Matze, du holst dir den Weißen. Und du, Christian, die braune Stute. Lux, du erledigst den Mann.«
Hier ging es also um die Pferde! Die Kerle waren zwar armes Diebsgesindel, aber nicht so dumm, dass sie nicht erkannten, dass Bonne ihnen gutes Geld, Étoile aber ein Vermögen einbringen würde.
»Worauf wartet ihr?«, drängte der Anführer.
Einer der Jungen hob beschwichtigend die Arme und näherte sich Étoile, der hoch und schrill wieherte.
»Ho, ho«, rief er und hob seine Axt über den Kopf. Nicht wirklich klug, dachte Lena. Dann ging alles sehr schnell. Der Weiße stieg, und einer seiner Hufe traf mit einem satten Schlag den Kopf des Jungen, der in den Knien einknickte und zu Boden sackte. Étoile stemmte die Beine in den Boden, rollte mit den Augen und legte die Ohren zurück. Lena hörte Hufgetrappel, und im nächsten Moment sprang ein Pferdekörper über sie hinweg und galoppierte davon. Bonne!
»Mistvieh«, schrie Christian, setzte sich in Bewegung und folgte der Stute halbherzig.
»Verdammt, mach schneller!«, rief der Alte. Als er sich umdrehte, kratzte der Spieß über Lenas Bauch.
Jetzt wirbelte Lionel herum. Einen Moment später krachte seine Faust auf den Kiefer von Lux, der lautlos zu Boden ging, und dann war er endlich bei Lena und riss den Anführer hoch. Das Messer, Lenas neuste Errungenschaft, lag an dessen Kehle. Da, wo sich die scharfe Schneide wie von selbst in seine Haut bohrte, sah sie eine dünne Perlenkette aus Blutstropfen, die sie unwillkürlich an Pater Ulrich erinnerte. Lenas Magen begann zu rumoren.
»Tirez-vous, conards!«, sagte Lionel leise. »Pack dich mit deinen missratenen Bastarden und nähere dich nie wieder meiner Freundin und meinen Pferden.«
Lena wusste, dass er, wenn er zornig war, ins Französische fiel. Doch dass er, wenn er vor Wut beinahe platzte, nicht brüllte, sondern flüsterte, war ihr neu. Scharf sog sie die Luft ein, als er dem Anführer die Klinge einmal quer über die Kehle zog, dann stieß er ihn von sich. Mit beiden Händen fasste sich der Angreifer an den Hals, aus dem das Blut auf seinen Kittel tropfte. Er schrie gurgelnd nach seinen Söhnen und knickte in den Knien ein.
»Ich sterbe«, schrie der Mann.
»Leider nicht!«, sagte Lionel. »Aber das nächste Mal …«
Matze gab die Verfolgung von Bonne auf und half seinem Vater auf die Füße. Gemeinsam mit Lux, der sich selbst wieder aufgerappelt hatte, schleppten sie sich zu Christian, zogen diesen in die Höhe und verließen schnell die Wiese.
»Geht’s wieder?« Lionel berührte Lena sanft an der Wange.
»Warum hat das so lange gedauert?«, fragte sie und hoffte, dass er seine Hand niemals wegnehmen würde.
»Es gibt immer einen richtigen Moment, Madeleine. Bei vier Angreifern und dir als Geisel musste ich die Pferde ihren Part erledigen lassen.«
Bonne und Étoile tranken am Bach. Nicht weit davon stand wie festgewurzelt die kleine Hirtin. Lena rappelte sich mit zitternden Knien auf und näherte sich dem Mädchen. Dieses wich vor ihr zurück wie ein scheuer Waldgeist.
»Sag, Sanna.« Lena kniete sich vor sie auf den Boden. »Hast du auch eine Mama?«
Die Kleine schwieg zunächst, dann schüttelte sie den Kopf.
»Du lebst doch nicht bei diesen Halsabschneidern?«
Die Kleine nickte. »Das ist mein Onkel Ruedi und seine Söhne«, flüsterte sie. Tränen traten in ihre Augen.
Aus dem Augenwinkel sah Lena, dass Lionel die Pferde sattelte.
»Aber Sanna, sind die denn gut zu dir?«
Jetzt flossen die Tränen so reichlich, dass sie Rinnsale in das dreckige Gesicht zeichneten. Lena nahm sie in die Arme, und Sanna schluchzte und weinte an ihrer Schulter.
»Er kommt jede Nacht in mein Bett. Der Onkel kann halt nicht …« Sie holte tief Luft. »Er kann halt nicht seine Finger von mir lassen.«
Lena lief es eiskalt über den Rücken. »Magst du mit uns kommen, Sanna?«, fragte sie. »Mit heim zu mir und zu Martha?«
Die Kleine nickte. Schlimmer als bei Onkel Ruedi und den Vettern konnte es bei Lena schwerlich sein.
Lionel führte die Pferde heran. Bonne rieb ihren Kopf an Lenas Arm.
»Sanna kommt mit uns«, sagte sie. »Ich nehme sie zu mir
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