Die Himmelsmalerin
Glasfenster.«
Lena bekam große Augen. »Ein eigenes Fenster, ganz allein von mir?«
»Ja, was denn sonst? Ich habe genau zwei Monate Zeit, um euch alles zu zeigen, was Ihr noch nicht könnt. Findet Ihr nicht, dass wir da jetzt anfangen sollten? Heute Nachmittag zeichnet Ihr dann für mich das Kreuzblattmuster im Hintergrund der Auffindung Mose.«
Lena schluckte und ging auf den leeren Tisch zu. »Ich weiß, was ich tun muss«, sagte sie. Wohl tausendmal hatte sie gesehen, wie ihr Vater den von ihr gezeichneten Entwurf auf einen Riss übertragen hatte, der als Vorlage für das zu schneidende Glas diente. Aber selbst getan hatte sie es noch nicht. Ein Raster musste her, durch das sie den kleinen Engel mit seinem faltenreichen Gewand und der so gekonnt gezeichneten Körperdrehung vergrößern konnte. Und eine Idee für den Hintergrund. Lena ging an die Arbeit.
»Morgen werdet Ihr dann Eure eigenen Gläser blasen«, sagte Lionel beiläufig, während er seine Zeichenutensilien auspackte und einen feinen Haarpinsel an seinem Handgelenk auf seine Festigkeit überprüfte. In aller Seelenruhe verdünnte er das flüssige Schwarzlot mit Wein.
Lena nickte. Ansatzweise hatten sie das ja gestern besprochen.
»Das hattet Ihr eigentlich ›assistieren‹ genannt.« Wie viel Angst sie davor hatte, ihre ersten Gläser zu verhunzen, zeigte sie ihm lieber nicht.
Den ganzen Morgen arbeiteten sie Seite an Seite an den verschiedenen Entwürfen. Meistens schwiegen sie. Zur Vesperzeit stellte sich Lena hinter ihren Lehrmeister, biss in ihr Brot und schaute ihm über die Schulter. Wie durch Zauberei entstanden unter seinen Händen die feinen Gesichter der beiden Ägypterinnen. Dann ging er daran, die Gewänder zu schattieren. Es gelang ihm so gut, dass Lena dachte, die Frauen würden aus dem Hintergrund heraustreten und in der Werkstatt herumspazieren. Nebenbei sog sie den Duft nach Leder ein, der von ihm ausging. Lionel wusch sich offensichtlich jeden Tag und ging am Samstag ins Badehaus. Lena kannte niemand, der so auf Sauberkeit achtete und niemals nach ungewaschenen Kleidern und Schweiß roch.
»Euer Moses ist wie meine kleine Sanna«, sagte sie mit vollem Mund. »Die habe ich auch unerwartet gefunden. Und ein Fluss war auch nahe dabei.«
»Nur, dass Ihr keine ägyptische Prinzessin seid und Euer Bettelkind uns nicht durch die Wüste führen wird.«
»Das kann man nicht wissen«, protestierte sie. »Unter dem ganzen Dreck ist ein niedliches kleines Mädchen hervorgekommen. Martha ist ganz vernarrt in sie.«
Dass Martha aus allen Wolken gefallen war, als sie die verdreckte Hirtin gesehen hatte, erzählte sie Lionel lieber nicht. Auch nicht, wie sehr der Läusekamm gezogen hatte, mit dem sie Lena fluchend durch den hüftlangen Schopf gefahren war, bevor sie die Prozedur an Sanna wiederholt und beide dann in einen hohen, heißen Badetrog gesteckt hatte. Erst, als Sanna sauber geschrubbt und beide läusefrei waren, legte sich Marthas Zorn und wich ihrer gewohnten Mütterlichkeit. Im Moment stand Sanna wahrscheinlich auf einem Schemel in der Küche und lernte, wie man Milchbrei mit Honig kochte.
»Was sind denn das da links für Klötze?«
Lionel strich sich ein paar Brösel von der Schulter. »Wenn Ihr schon hinter mir stehen und mit vollem Mund sprechen müsst, solltet Ihr mich nicht auch noch vollkrümeln. Die Klötze, die Ihr da seht, sind Architekturen.«
»Ach, tatsächlich?« Lena runzelte die Stirn. Die Häuser, die ihr Vater manchmal in seine Glasbilder einfügte, sahen anders aus. »Sie sind so komisch schief.«
Er lachte. »Das gibt sich, wenn sie bemalt sind. Es geht darum, dass sie räumlich wirken. Eines Tages entdeckt sicher jemand das Gesetz, nach dem sich Dinge auf der Fläche so gestalten lassen, dass sie sich so verkleinern, wie es die Dinge zum Horizont hin wirklich tun. Aber vorerst muss ich mich mit dem optischen Eindruck begnügen.«
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Lena sprang auf und öffnete. Auf der Schwelle stand Pater Thomas von Mühlberg und strich sich die Kapuze zurück. »Gott zum Gruße, Lionel. Und Jungfer Magdalena, wie ich sehe. Ich wollte mich vom Fortschritt der Arbeiten überzeugen.«
»Madeleine ist meine Assistentin«, beeilte sich der Burgunder zu erklären. »Sie hilft mir, weil ihr Vater dazu gerade nicht in der Lage ist.«
»So so.« Prüfend blieb der scharfe Blick des Franziskaners an Lena hängen, die verlegen ihr Kleid glattstrich. »Was die Zunft und ihr Bräutigam
Weitere Kostenlose Bücher