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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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aufs Pferd.«
    Zweifelnd starrte Lionel auf das Häufchen Elend zu Lenas Füßen. »Wenn Ihr meint, dass unter dem Dreck kein Kobold, sondern ein Kind hervorkommt, soll’s mir recht sein!«
    Lena antwortete nichts darauf, sondern stieg aufs Pferd.
    »Komm, du Floh«, sagte Lionel und setzte Sanna vor sie in den Sattel. Der neue Umhang reichte aus, um die Abendkühle von ihnen beiden abzuhalten. Sannas Traurigkeit und ihre schlechten Erinnerungen schienen in Lenas warmen Armen keine Bedeutung mehr zu haben. Während Bonne sich langsam in Bewegung setzte, lehnte sie sich an Lena und schlief nach kurzer Zeit ein. Schweigend ritten Lionel und Lena nebeneinanderher.
    »Ihr hättet ihn fast getötet«, stellte sie fest.
    »Er ist haarscharf daran vorbeigeschrammt.«
    Bonne setzte ihre Hufe so sanft auf, als wüsste sie von ihrer kleinen, traurigen Last, und Lena spürte den Kopf des Kindes an ihrer Brust. Daheim würde Martha den Läusekamm für sie beide raussuchen müssen, dachte sie müde. Kurze Zeit später war sie auch eingenickt. Als sie auf dem Uferpfad am Neckar waren, erwachte Lena mit einem Ruck. Bonnes Zügel lagen in Lionels Hand, und das Kind war im Tiefschlaf auf den Sattelknauf gesunken. Da war ein Gedanke, eine flüchtige Erinnerung an die schreckliche Nacht in der verrufenen Schenke plötzlich aufgetaucht, wie ein schwarzer Flügel, der sie gestreift hatte. Prior Balduin kann die Finger nicht von den Novizen lassen, hatten die Huren gesagt.
    »Lionel?«, fragte sie leise.
    »Ihr seid wach?« Er schaute weiter nach vorne.
    »Mir ist etwas eingefallen. Ich glaube, ich habe doch etwas Wichtiges im Schwarzen Eber erfahren.«
    Jetzt wandte sich Lionel zu ihr um. »Da ist ein Mörder in Esslingen, der nur auf weitere Schnüffler wartet, denen er die Kehle durchschneiden kann. Auch wenn er dabei nicht halb so geschickt ist wie ich.«
    »Sagt, wenn der Prior nicht die Hände von den Novizen lassen kann, ist das dann schlimm?«
    Lena erkannte an seinen zuckenden Schultern, dass er lachte. »Ihr fragt mich, ob Sodomie schlimm ist oder nicht?«
    »Sodo – was?«
    »Zwingt mich nicht, es zu erklären«, sagte Lionel.
    Er wartete, bis sie ihn eingeholt hatte. »Was die Mönche miteinander tun, gilt tatsächlich als schlimmer, als wenn sie das Gebot der Keuschheit mit einer Frau verletzen. Wenn sie der weltlichen Gerichtsbarkeit verfallen, droht Sodomisten der Tod.«
    Männer mit Männern? Lena hatte keine Ahnung, wie das gehen konnte.
    »Ist das ein Grund, um jemanden umzubringen?«, fragte sie.
    Lionel zuckte die Schultern. »Was die Mönche unter der Decke treiben, interessiert so lange niemanden, bis es bekannt wird. Wenn es ans Licht kommt, wäre es ein Motiv.«

17
    Am nächsten Morgen stand Lena pünktlich nach Sonnenaufgang vor der Tür des Zeichenraums. Lionel kam kurz danach, die Haare noch feucht vom Brunnenwasser, mit dem er sich gewaschen hatte. Er schloss auf und ließ Lena eintreten. Auf dem Arbeitsplatz ihres Vaters lagen seine Gläser verstreut – blaue, rote, goldgelbe und grasgrüne, so farbenprächtig wie ein Garten im Herbst. Gerade in Arbeit war das Fenster, das die Auffindung Mose durch die ägyptische Prinzessin zeigte. Lena betrachtete es lange. Ein arabischer Bogen, der sich aus einer Blattranke ergab, umrahmte zwei Frauen. Die Äußere, die ganz rechts stand, legte ergriffen den Kopf auf die erhobenen, gefalteten Hände. Die andere bückte sich nach dem kleinen Moses, der in seinem sichelförmigen Körbchen auf den Wellen des Nil schaukelte.
    »Ihr seid fast so gut wie mein Großvater«, sagte sie. Dabei wusste sie genau, dass Lionel besser war, wirklicher und mehr der neuen Zeit angepasst, aber das würde sie ihm niemals auf die Nase binden.
    »Danke.«
    »Und was kann ich jetzt tun?« Voller Tatendrang sah sie sich in der Werkstatt um.
    Lionel sah sie an und lachte. »Nun, ich habe noch niemals einen Lehrling ausgebildet. Ich dachte eigentlich, wenn es mal dazu kommen würde, wäre es ein aufsässiger, fauler und pickliger Bengel, dem ich hin und wieder – eins hinter die Löffel gebe, sagt man so? So wie es Maitre Thierry aus Paris bei mir gemacht hat, dem ich eine wahrhaft alttestamentarische Plage war. Aber ein übereifriges, junges Mädchen. An den Gedanken muss ich mich erst einmal gewöhnen.«
    Er deutete auf Lenas Zeichentisch, auf dem nichts weiter lag als der Entwurf ihres Engels – der, den er aus ihrer Dachkammer gerettet hatte. »Voilà – der Entwurf für Euer eigenes

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