Die Himmelsmalerin
auch.«
»Das habe ich mir gedacht.« Lionel lachte und sah dabei so jung und unbekümmert aus, dass Lena einen Stich im Herzen spürte. »Wie wäre es, wenn wir einen Ausflug machten. Ich habe Bonne und Étoile schon gesattelt.«
»Aber«, stotterte sie. »Mein Vater!«
»Der ist doch für den Rest der Woche in Wimpfen, um die Fenster in der Dominikanerkirche zu inspizieren.«
Er würde es also nicht erfahren, vorausgesetzt, Martha hielt dicht.
»Also gut«, sagte sie unternehmungslustig. »Nur reiten kann ich nicht so gut.«
»Keine Sorge. Bonne ist sanft wie ein Lamm.« Er führte die braune Stute aus dem Stall. Freundlich musterte sie Lena mit ihren dunklen Augen.
Lena klopfte ihr den Hals. Lionel hatte Étoile, der unruhig mit den Füßen scharrte, schon an den Zaunpfahl gebunden. Er zauberte zwei kleine Augustäpfel aus der Tasche, die er in der Küche hatte mitgehen lassen, und fütterte die Pferde damit.
»Den beiden tut Bewegung genauso gut wie uns«, sagte er. »Sie haben schon lang genug im Stall gestanden. Aber wartet, Madeleine. Ich habe etwas für Euch.«
Er drückte ihr ein Paket in die Hände, das mit einem dünn gewebten Leinenstoff umwickelt war.
»Ist das für mich?«
»Ihr dürft es ruhig öffnen!«
Langsam und noch immer etwas zögerlich band Lena die Schnur auf, die es zusammenhielt. Heraus floss ein Umhang aus nachtblauem Samt, so glatt und leicht, dass er ihr fast aus den Händen glitt.
»Aber das kann ich nicht annehmen«, sagte sie überwältigt. »In ganz Esslingen gibt es nichts dergleichen.«
»Nein, den habe ich auch in Ulm gekauft«, antwortete er gleichmütig. »Er kommt direkt aus Italien, aus der Perle der Städte, Venedig.«
»Er ist so schön – wie für eine Prinzessin.«
»Er ist aus Seidensamt«, sagte er und lächelte auf sie herunter. »Und passt perfekt zu Euren Augen. Solange wir durch die Stadt reiten, solltet Ihr ihn tragen. Denn wenn Ihr mit mir gesehen werdet, gibt es nur wieder Gerede.«
Lena legte den Umhang, der glatt und dunkel wie der Nachthimmel war, um ihre Schultern und schloss die silberne Schließe.
»Zieht auch die Kapuze über«, sagte Lionel. »Ich habe zwar keinen Damensattel, aber Martha sagte mir, dass Euch ein Herrensattel gerade recht ist.«
»Martha?«
»Nun, dachtet Ihr wirklich, dass sie nichts davon wusste?«
Sprachlos öffnete Lena den Mund und schloss ihn dann wieder.
»Sie hat uns eine kleine Vesper eingepackt.« Lionel befestigte einen Leinensack an Bonnes Sattelknauf.
Lena beschloss, nicht weiter darauf einzugehen, zunächst jedenfalls. »Wenn ich überhaupt reite, dann bestimmt nicht wie eine Dame.«
»Nun«, sagte er belustigt. »Ob Ihr Euch je wie eine Dame benehmen werdet, bleibt dahingestellt. Aber mit dem langen Umhang wird nicht weiter auffallen, wenn Ihr im Herrensitz reitet.« Lena war froh, dass sie heute ihre Beinlinge unter dem Kleid trug.
Elegant und schnell saß er auf und lenkte Étoile aus dem Tor auf die Gasse hinaus. Lena tat es ihm nach, linkisch und ungeschickt zwar, aber irgendwie landete sie schließlich auf dem Rücken der geduldigen Stute, die sich von allein in Bewegung setzte. Im Schritt ritten sie hintereinander durch das Pliensautor und überquerten die Brücke, auf der sich wieder Bauern und Handelsleute drängten. Darunter wälzte sich träge der Neckar.
Auf der anderen Seite hielt sich Lionel auf dem Uferweg. Der Fluss war voller Treidelkähne, die kräftige Ackergäule gemächlich entgegen der Fließrichtung zogen. Wenn er Étoile traben lässt und Bonne mitmacht, falle ich runter, dachte Lena, doch Lionel ließ den Hengst weiter im Schritt gehen. Seitlich ragten die Hänge des Neckartals auf – der Eisberg mit seinen dichten, dunklen Wäldern und weitere, von denen Lena nicht die Namen kannte. Hier war ich noch nie, dachte sie, als sie Lionel in Richtung des Weilers Denkendorf folgte. Dort gab es ein Kloster der Chorherren des Heiligen Grabes, das sogar einen Splitter des heiligen Kreuzes sein Eigen nannte.
Hinter der Ortschaft lag ein Tal, durch das sich, umrahmt von grünen Hügeln, ein klarer Bach schlängelte. Auf einer abschüssigen Wiese saßen sie ab und ließen die Pferde trinken.
»Hier werden wir bleiben«, sagte Lionel und legte seinen Mantel im Schatten einer überhängenden Weide auf den Boden. Lena zog den nachtblauen Umhang aus, faltete ihn sorgfältig zusammen und setzte sich ins Gras. Über dem Bach lag die träge Hitze des Mittags. In den Zweigen der Weide sangen
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