Die Himmelsmalerin
gekommen. Ich will euch ein Geheimnis anvertrauen, das bei euch so sicher sein muss, als hättet ihr darauf einen Eid geschworen.«
Prüfend schaute sie in die Runde – der graubärtige Mönch, der Glasmaler mit seinen warmen, braunen Augen und die junge Lena, die manchmal schneller handelte als sie nachdachte. Das Wagnis war groß, aber sie konnte niemanden sonst ins Vertrauen ziehen.
Und doch, es musste raus, und sie durfte keinen Tag länger damit warten. Renata holte tief Luft. »Valentin ist bei mir. Und damit liegt sein Leben jetzt auch in eurer Hand.«
»Aber …«, rief Lena.
»Schhh!«, machte Bruder Thomas. Der Mönch trommelte mit seinen Fingerspitzen auf die Tischplatte und dachte nach.
»Also darum sitzt Streuner in unserem Blumengarten«, sagte Lena.
»Der kleine Kerl ist mir nachgelaufen.« Renata schüttelte den Kopf und lachte leise. »Das habe ich allerdings erst in der Stadt gemerkt.«
»Und Franz?«, fragte Lena.
»Oh, der ist bei Valentin gut aufgehoben.«
»Erzählt doch einfach von Anfang an«, schlug Lionel vor.
Renata seufzte tief. »Nun, so viel zu berichten gibt es da gar nicht. Am Tag, als der Mord geschah, stand Valentin schon frühmorgens vor der Tür, voller Blut und am Ende seiner Kräfte. Und seitdem ist er bei mir.«
Bruder Thomas sah sie nachdenklich an. »Und du hast immer an seine Unschuld geglaubt.« Du – dachte Lena perplex, und Lionel hob überrascht die Augenbrauen.
»Thomas, ich bin mir meiner Sache völlig sicher.«
»Aber Ihr habt doch selbst Zweifel an Valentins Schuld geäußert«, erinnerte Lena den Arzt.
Renata legte ihre Hand auf Lenas. »Wie gut, dass es dich gibt, Lena. Du glaubst gar nicht, wie viel Mut du Valentin gemacht hast, weil du für ihn eingetreten bist. Aber jetzt – geht es nicht mehr. Am Tag nach meinem ersten Gespräch mit Hardenberg – du weißt schon, Lena, als es dir so schlecht ging – kreuzte er bei mir auf und durchsuchte mit seinen Bewaffneten mein Haus. Ich konnte Valentin gerade noch ins Verlies im Keller stecken, das er bisher nicht gefunden hat. Und jetzt steht er alle paar Tage vor meiner Tür, will dies, will das, und nimmt mir nicht ab, dass ich nichts von Valentin weiß.«
»Womit er ja auch richtig liegt«, warf Lionel ein.
Sie zuckte die Schultern. »Und Valentin kann langsam nicht mehr. Heute sprach er davon, sich zu stellen.«
»Auf keinen Fall«, sagte Lionel.
»Er ist mit den Nerven am Ende. Täglich spielt er Schach mit Franz. Wie schlecht es ihm geht, sehe ich daran, dass der Kleine immer häufiger gewinnt.«
»Kluges Kerlchen«, sagte Bruder Thomas. Renatas scharfer Blick traf ihn.
»Wir müssen also etwas unternehmen«, meinte Lionel. »Valentin muss Esslingen verlassen.«
»Das sollten wir gründlich überdenken.« Der Mönch stand auf, ordnete seine Kutte und zog die Kapuze über den Kopf. »Wartet auf mich!« Mit diesen Worten trat er aus der Werkstatt und verschwand.
Als von der Kirche St. Dionys das mächtige Mittagsgeläut zum Angelus einlud, ging Lena in die Küche und holte Brot und Fleisch. Nach der Mahlzeit bemalte Lionel in aller Seelenruhe seine Hausfragmente weiter. Lena versuchte ebenfalls weiterzuarbeiten, aber Renatas Unruhe übertrug sich auf sie, so dass sie viel zu nervös war, um ihren Engel auf den vergrößerten Riss zu übertragen. Schließlich hielt sie es nicht länger aus und stellte sich in die Tordurchfahrt zur Seitengasse. Und dann sah sie sie. Bruder Thomas kam nicht alleine. Unter der zweiten Kapuze versteckte sich niemand anders als Prior Johannes selbst.
»Hochwürden«, flüsterte Renata und küsste ihm die Hand.
»Steht auf, meine Tochter«, sagte der Prior und segnete nacheinander Renata, Lena und Lionel.
»Habt Ihr wohl einen Schluck Wein für mich, Jungfer Lena?« Er rieb sich die Hände. »Es ist ein mächtig heißer Tag.«
Lena goss ein und reichte ihm, noch immer ziemlich sprachlos, den Becher. Der Prior trank einen Schluck.
»Nun«, sagte er dann. »Bruder Thomas hat mich schon ins Bild gesetzt. Und er hat mich überzeugt, dass es richtig ist, dem Jungen zu helfen. Damit Recht geschieht und die Wahrheit ans Licht kommt.«
Nachdenklich wusch Lionel seine Pinsel aus. »Die, was den Dominikaner angeht, anders aussehen könnte, als Ihr erwartet.«
»Das wird sich herausstellen, wenn Licht in das Dunkel rund um diesen Mord gebracht wird. Und darum habe ich mich entschlossen, dem Jungen Asyl im Franziskanerkloster zu gewähren, bis alles geklärt
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