Die Himmelsmalerin
Wir brauchen das Geld so dringend.«
Lena wusste, wie rar die Stellen im Weinbau selbst bei der Lese waren, und freute sich, der Familie helfen zu können. »Sag, wie viele seid ihr eigentlich?«
Rosi runzelte die Stirn und nahm die Finger zur Hilfe. »Acht Bälger«, sagte sie schließlich. »Sie hätten sich auch etwas zurückhalten können«, fügte sie bitter hinzu. »Aber die Mutter hat sich gut um uns gekümmert. Bei anderen Leuten sterben die Kinder wie die Fliegen. Nur der Kurt – der Zwillingsbruder von der Maria, die du eben gesehen hast – hatte es mit dem Herzen. Aber jetzt ist die Mutter selbst krank. Sie hat das Gliederreißen und kann nicht waschen oder Kräuter sammeln, wie sie sollte. Und bei den großen Buben muss man aufpassen, dass sie nicht dem Vater nachschlagen.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund wie eine Flasche und tat so, als ob sie einen tiefen Schluck nahm.
»Also musst du mitverdienen«, sagte Lena nachdenklich und nahm sich vor, den beiden Brüdern ihren Lohn nur über Rosi auszuzahlen.
»Die Eva und ich, wir stopfen im Moment alle Mäuler alleine«, fuhr diese düster fort. »Aber wenigstens geht es dem Valentin besser.«
»Nicht wirklich«, sagte Lena düster. »Er sitzt in seinem Klosterasyl und wartet auf den Prozess durch den König.«
»O weh!« Rosi schlug die Hand vor den Mund. »Das ist wohl die Idee des Herzogs von Teck.«
Lena nickte. »Muss wohl. Und uns fehlt noch immer der wirkliche Mörder.«
»Und den suchst du ?«
»Ja«, sagte Lena schlicht und rückte mit ihrer zweiten Bitte heraus. Einen Moment lang war Rosi sprachlos, doch dann begann sie nachzudenken.
»Komm morgen ins Bad hinter der Franziskanerkirche …«
23
»Sator arepo tenet opera rotas.« Mühsam entzifferte Lena den Spruch, den Renata Wort für Wort in Form eines Quadrats auf ein Pergament geschrieben und ihrem Vater auf die Brust gelegt hatte. Verstanden hatte sie ihn damit noch lange nicht, bemerkte aber erstaunt, dass die Wörter von rechts nach links, von oben nach unten und umgekehrt immer das Gleiche ergaben.
S A T O R
A R E P O
T E N E T
O P E R A
R O T A S
»Du solltest den Hokuspokus bleiben lassen, Renata«, sagte Heinrich Luginsland mürrisch, zog sich den Pergamentfetzen von der Brust und ließ ihn zu Boden segeln, von wo ihn Lena aufsammelte und in ihre Tasche steckte. »Das ist reine Zeitverschwendung.«
Lenas Vater lag im Bett, die Decke hatte er wieder bis zum Kinn hochgezogen. Über seiner Stirn sträubte sich das wirre, graue Haar. Auf dem Tisch neben ihm stand eine Ansammlung von Flaschen und Fläschchen sowie ein Zweig Rosmarin in einer Vase, der seinen durchdringenden Duft im Krankenzimmer verteilte. Renata nahm keine Notiz von Heinrichs Geschimpfe, sondern zog energisch den Pergamentrahmen von der Fensteröffnung weg, den Lena gegen die Kälte hineingespannt hatte.
»Der Satorspruch ist ein Heilspruch und hat noch niemandem geschadet. Aber in erster Linie brauchst du frische Luft und bessere Laune.«
»Da irrst du dich!«, brummte der Kranke. »Ich brauche Wärme und meine Ruhe vor besserwisserischen Apothekerinnen und ihren Freunden, den studierten Physicae, die sich an meinem Bett auf Lateinisch unterhalten und ihren halben Laden bei mir abstellen.«
Eine kräftige, sommersprossige Hand kam vorwurfsvoll unter der Decke hervor und deutete auf die Reihe Arzneiflaschen auf dem Tisch. Lena verbiss sich ein Lachen und tauschte einen verstohlenen Blick mit ihrer Freundin, die die Augenbrauen hochzog. Es ging ihrem Vater noch nicht gut, aber immerhin doch so viel besser, dass er sich lautstark beschweren konnte. Bruder Thomas war mehrmals bei ihm gewesen, hatte ihm Brust und Rücken abgehört und viel Ruhe sowie ein Medikament aus gering dosiertem Fingerhut verordnet. Von dem maß Renata ihm einen Löffel voll ab.
»Es war sehr gut, dass Thomas von Mühlberg nach dir geschaut hat«, sagte sie dann sanft und schob dem Kranken den Löffel in den Mund. Lenas Vater schluckte die Medizin widerwillig herunter. »Er wusste, wie stark ich den Fingerhut konzentrieren durfte. Wie du sicher weißt, handelt es sich bei der Pflanze um ein starkes Gift, wenn man es falsch dosiert.«
»Du könntest mir auch gleich das ganze Fläschchen auf einmal geben!«, sagte Heinrich.
Renata schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, herzkrank heißt bei dir auch kummerkrank.« Sie beugte ihren dunklen Kopf über den alten Glasmaler und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das Fläschchen mit der
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