Die Himmelsmalerin
Mantel, der ihre Verlegenheit überdeckte. »Das Gebot der Keuschheit aber, das die Kirche von ihren Dienern verlangt, widerspricht der Natur. Ob Dominikaner oder Augustiner, ob Benediktiner oder Weltpriester, die Verlockung der Wollust ist für viele zu groß. Das haben wir dir auch beim letzten Mal gesagt. Ihr Orden drückt hin und wieder zwei Augen gleichzeitig zu. Und wir … nun, wir profitieren davon.«
»Das ist mir schon klar.« Lena steckte sich ein paar Haarsträhnen hinter die Ohren und schaute herausfordernd zu Berthe hoch. »Aber mir geht es um etwas anderes! Bei unserem letzten Treffen hast du gesagt, dass der Prior Balduin junge Novizen …« Ihr fehlten die Worte, und sie verhaspelte sich. »Dass er junge Novizen …«
Hanna lachte. »Was willst du sagen? Bevorzugt, vögelt, liebt?«
Lena schluckte wieder. Ihr Mund war staubtrocken von der Hitze, aber sie nickte tapfer.
»Nun, man munkelt so einiges in der Stadt. Es ist ein Gerücht. Aber wenn das ans Tageslicht kommt, gibt es einen handfesten Skandal.«
Es war also genauso, wie Lionel gesagt hatte. Nun musste sie nur noch herausfinden, ob es wirklich stimmte. »Ich habe Kilian schon gefragt, aber der wollte mir nichts sagen.«
Berthe stieß Hanna an, und die schnippte mit der Fußspitze nach Rosi. Dann lachten sie alle drei, bis sie sich die Bäuche halten mussten. Berthe fasste sich als Erste wieder. »Bist du von Sinnen? Dein Freund Kilian ist Teil dieses Klosters. Wenn auch nur ein Körnchen davon wahr ist, lieferte er die Esslinger Dominikaner mit einem Wort ans Messer.«
»Und überhaupt – Sodomie.« Hanna schnaubte verächtlich. »Uns ist vollkommen egal, ob ein Mann eine Frau, einen anderen Mann oder einen Esel liebt.«
Berthe nickte. »Oder alle drei gleichzeitig. Bei Kindern sieht es anders aus. Wir mögen gar nicht, wenn sie zu diesen Dingen gezwungen werden.«
»Eigene schlechte Erfahrungen.« Hanna schnaubte.
Berthe stand auf, streckte ihren ausladenden Körper und ließ ihre Brüste auf und ab hüpfen. »Prior Balduin ist mächtig, und seine Novizen sind jung und von ihm abhängig. Es bleibt dahingestellt, ob sie ihm freiwillig das geben, was er von ihnen will. Weißt du was? Wir werden unsere Ohren aufhalten. Hanna hat – nun ja – hin und wieder ›geschäftliche Beziehungen‹ zum Cellerar ….«
»Aber ich kann bald nicht mehr arbeiten.« Die junge Hure stand auf. Unter dem Leinenhemd wölbte sich unübersehbar ein Bäuchlein, das Berthe liebevoll tätschelte. »Nur noch ein paar Wochen. Und das trotz Petersilientrunk«, sagte sie.
»Das Kleine ist meine letzte Chance«, sagte Hanna mit erstickter Stimme.
»Schon gut. Wir haben einen würdigen Ersatz gefunden, vorübergehend.« Berthe lachte und deutete auf Rosi, die ihre Augen niederschlug.
Lena bekam den Mund nicht wieder zu. »Aber …«
»Schau nicht so«, flüsterte Rosi. »Ich muss eine Familie durchbringen.«
»Ich sag ja gar nichts«, wisperte Lena.
Berthe klopfte Rosis Schulter. »Ich passe schon auf deine Freundin auf, kleine Glasmalerin. Und wir betrachten diese Zeit als Probezeit.« Sie schaute sich um. »So, Mädels! Lasst uns schauen, was sich auf der anderen Seite verbirgt. Und du, Lena Luginsland, sei etwas vorsichtiger und halte dir den Burgunder warm, der dich in der Taverne beschützt hat. Das ist ein würdigeres Mannsbild als dein Tübinger.«
Weil sie schon so rot wie ein gesottener Flusskrebs war, konnten die anderen den Schwall zusätzlicher Hitze nicht sehen, der Lena überlief, als hätte man sie unter einen heißen Wasserfall gestellt. Ohne ein Wort flüchtete sie in den Vorraum, wusch sich mit flüssiger Lauge die Haare und den Körper und machte sich auf nach Hause.
24
Als das Brückentor hinter ihm lag, senkte sich ein eiserner Ring um Lionels Brust. Waren es die engen Gassen und die Menschenmassen der kleinen Stadt, die ihm sein Herz eng machten? Oder war es seine Vergangenheit, die darin mit der Zukunft rang? Étoile, der im Schatten der Tore ganz grau aussah, stampfte unruhig mit den Füßen.
»Tout est bien!« Lionel klopfte ihm den schweißnassen Hals. Der Hengst hatte sich seinen Stall und eine zusätzliche Portion Hafer redlich verdient.
»He, was ist los, Burgunder?«, fragte Konrad Stocker und schloss zu ihm auf. Der Glasmaler hatte sich wenig verändert, seit er gemeinsam mit Lionel in Straßburg an den Münsterfenstern gearbeitet hatte. Noch immer liebte er gutes Essen und Wein, was sich an seinem Gürtel
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