Die Himmelsmalerin
Fingerhutarznei ließ sie in ihrer Schürzentasche verschwinden. Dann zeichnete sie ein Kreuz auf Heinrichs blasse Stirn.
»Der Herr Jesus, Maria und alle Heiligen beschützen dich«, sagte sie sanft und bedeutete Lena, mit ihr gemeinsam das Krankenzimmer zu verlassen.
»Uff!« Auf der Treppe wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. »Dein Vater ist ein unglaublich eigensinniger Kranker!«
»Aber er macht Fortschritte.«
Renata nickte nachdenklich. »Ja«, sagte sie. »Wenn er lautstark protestieren kann, sicher. Aber er braucht noch sehr viel Ruhe, und die Sache mit dem Anstetter setzt seiner Seele ziemlich zu. Ihr lasst die Fingerhuttropfen besser nicht in seiner Nähe … Und ihr müsst unbedingt eine Lösung in der Sache mit deiner Verlobung finden. Heinrich macht sich Vorwürfe, dass er es so weit hat kommen lassen.«
Ratlos zuckte Lena mit den Schultern. »Der Anstetter ist seit – du weißt schon wann – nicht mehr bei uns aufgetaucht«, sagte sie. »Meinetwegen kann er bleiben, wo der Pfeffer wächst.«
Doch hatte er wirklich Esslingen verlassen? Am Tag, an dem Valentin verhaftet worden war, hatte ein Mann, der ihm verblüffend ähnlich sah, im Eingang zum Fürstenfelder Pfleghof gestanden.
»Und was machst du jetzt?«
Renata blieb stehen und zog ihre Haube glatt.
»In meiner Apotheke nach dem Rechten sehen. Ich habe etwas mit Anton zu besprechen, und dann werde ich Franz aus dem Franziskanerkloster abholen. Ich hoffe nur, dass der Hardenberger nicht wieder vor meiner Haustür steht.«
»Spioniert er dich immer noch aus?«
Renata zuckte die Schultern. »Ich fürchte, er kommt nicht nur wegen dem Mord«, sagte sie. »Meine Marmelade und meine Kräuteraufgüsse scheinen ihm zu munden.«
Sie hatten den Eingang erreicht. Renata legte Lena kurz die Hand an die Wange. »Lass deinem Vater noch einige Tage Zeit! Aber dann musst du darauf bestehen, dass er die Verlobung löst.«
Lena nickte. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte. Lieber konzentrierte sie sich auf den nächsten Schritt: Der Mörder des Dominikaners musste gefunden werden.
Es war zur Non, als der Bader in sein Horn blies und das Bad damit für geöffnet erklärte. Lena rannte die Treppe hoch ins Dachgeschoss, zog das dünne Leinenhemd, das die Frauen in den öffentlichen Badehäusern trugen, aus ihrer Truhe und schlich sich über die Stiege davon, deren dritte Stufe wie immer furchtbar knarrte. Verstohlen öffnete sie die Haustür und trat in den Hof hinaus. Wenn sie jemand bei diesem Treffen beobachtete, war ihr guter Ruf endgültig dahin. Aber ihre Chancen standen gut. Der Vater ruhte sich in seiner Stube aus, und Martha kaufte mit Sanna Kohlköpfe für ihr Sauerkrautfass ein. Was soll’s, dachte sie. Anders kam sie nun einmal nicht an die Informationen, die sie so dringend brauchte. Die Familie des Glasmalers Luginsland ging nur selten ins Badehaus, denn Großvater Lambert hatte eine eigene Badestube in sein Haus einbauen lassen, in dem, was der allergrößte Luxus war, ein Badezuber stand, den Martha jeden Samstag mit heißem Wasser füllte. Manchmal bedauerte Lena, was ihr dadurch entging. Denn die Badehäuser waren nicht nur Orte, an denen man sich reinigen und aufwärmen konnte, sondern sie dienten auch dazu, sich zu treffen. Klatsch und Tratsch gehörten zum Geschäftsprinzip, und so manche Handwerkerfrau und Händlergattin pflegte hier nicht nur ihr Äußeres, sondern erfuhr ganz nebenbei, was in der Stadt sonst so geschah.
Die Bewohner von Lenas Viertel besuchten eigentlich die Badestube in der Kirchgasse. Das Bad hinter der Franziskanerkirche wurde eher von den weniger Betuchten aus dem Viertel rund um den Holzmarkt in Anspruch genommen, was von Vorteil war, denn so war die Chance geringer, sofort einer Bekannten über den Weg zu laufen. Lena selbst war noch nie hier gewesen, obwohl es nicht weit entfernt lag. Schnell hatte sie das Gebäude erreicht, das sich von außen kaum von den Nachbarhäusern unterschied. Der Brunnen allerdings, der hinter dem Kloster der Franziskaner stand, war als Wasserspender auch für das Badehaus unerlässlich.
Auf der rechten Seite hatten sich einige Handwerksburschen vor dem Männereingang aufgereiht. Sie pfiffen anzüglich, als Lena sich zu den Frauen stellte. Sie nahm keine Notiz von ihnen, entlohnte den Gehilfen des Baders mit dem Badepfennig und trat ein. Frauen über Frauen drängten sich im feuchtwarmen Vorraum. Lena sah blonde und braunhaarige, graue
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