Die Himmelsmalerin
Walnüssen, den eine zahnlose Alte aus dem Esslinger Umland anbot. Äpfel, rotwangig und knackig, ließen Lena das Wasser im Mund zusammenlaufen. Warum eigentlich nicht. Ein paar Münzen klimperten in ihrer Tasche. Aber Äpfel gab es daheim aus ihrem Garten am Hegensberg genug. Lena entschied sich für einen schmalztriefenden, mit Rosinen und Quark gefüllten Krapfen, kaufte ihn der drallen Bäckerin ab und biss hinein. Die Süße linderte ihre Enttäuschung über das Gespräch mit Kilian. Es war von vornherein klar gewesen, dass er nichts über das heikle Thema sagen würde. Ein Nestbeschmutzer des Dominikanerordens war Kilian sicher nicht. Aber es musste doch rauszukriegen sein, ob der Prior nicht doch in der Nacht von Vater Ulrichs Tod außerhalb der Klostermauern gewesen war.
Nachdenklich blieb Lena an einem Stand mit goldbedruckten, seidenen Tüchern stehen. Wie prächtig die Goldauflage auf dem durchsichtigen Stoff aussah, der sicher aus dem Orient kam!
»Das Blaugoldene würde Euch gut stehen, Jungfer«, sagte die Verkäuferin. Lena hatte sie noch nie gesehen. Zahllose Falten zogen sich durch ihr hakennasiges Gesicht, doch die dunklen Augen blickten wach wie bei einer listigen Krähe.
»Dafür reicht mein Geld leider nicht«, gab Lena zu.
»Das macht nichts.« Die Alte grinste sie zahnlos an, und Lena lief es kalt über den Rücken. »Reicht mir Eure Hand, Mädchen mit dem Feuerhaar, ich will die Zukunft daraus lesen. Es kostet nur einen Heller.«
Lena öffnete den Mund und wollte ablehnen, aber da war die Alte schon wieselflink hinter ihrem Stand hervorgekommen, griff nach ihrer Hand und drehte sie schnell nach oben. Sie fuhr über die Linien in der Handfläche, denen Lena nie zuvor Beachtung geschenkt hatte. »Ein schönes Mädchen, geboren unter dem Zeichen des Schützen, mit dem Löwen im Aszendenten. Feuer nicht nur im Haar, auch in den Sternen deiner Geburt und im Herzen«, sagte die Alte.
Verdutzt schaute Lena die Alte an. »Wer seid Ihr?«
»Eine Fahrende.« Der schmale Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Von weit her. Manche haben wie ich das alte Wissen.«
»Welches alte Wissen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sterne, Handlinien, Zahlen und das zweite Gesicht. Wann ist dein Geburtstag, Feuerkind?«
»Am 13. Dezember«, flüsterte Lena, der immer unheimlicher wurde.
»Recht hatte ich«, sagte die Alte befriedigt und vertiefte sich in Lenas Handlinien. »Und jetzt hör gut zu. Herz aus Feuer … Hier …« Ein spitzer Finger bohrte sich in ihre Hand. »… Sehe ich die Zukunft. Und da ist …. eine Wegkreuzung.« Sie drehte Lenas Rechte zum spärlichen Tageslicht und bog die Finger zurück. »Auf der einen Seite ist ein langes Leben eingezeichnet, ferne Länder und das Glück an der Seite eines Mannes. Doch es kann auch anders kommen.«
Sie schwieg.
»Was ist dann?«, flüsterte Lena, die jetzt wirklich Angst bekam.
»Es ist besser, ich sage nichts weiter.« Die Alte ließ Lenas Hand los und formte die eigene klauenartige Hand zur Schale, um ihren Lohn zu empfangen, den Lena verschüchtert hineinlegte.
»Bitte sagt mir die Wahrheit!«
Da griff die Alte nach Lenas Hand und hielt sie fest. »Nicht jeder hält die Wahrheit aus. Aber du, Mädchen, das bereit ist, sein Leben für ihre Freunde zu opfern. Bist du stark genug?«
Lena wollte ihre Hand fortziehen, aber der Griff der Alten war eisenhart. »Du musst den Weg zu Ende gehen, den du eingeschlagen hast, hörst du. Du hast keine Wahl. Und es ist bald. An seinem Ende schlägt das Pendel aus, hin zum Leben – oder zum Tod.«
Jetzt hatte Lena genug. Sie riss sich mit aller Kraft los und lief davon. Das Lachen der Alten klang in ihren Ohren wie eine dunkle, scheppernde Glocke.
Sie rannte und rannte. Das Blut pochte in ihren Ohren, und das Markttreiben um sie herum wurde zu einem Reigentanz aus Farben, bis sie schließlich keuchend stehen blieb und sich die schmerzende Seite hielt. Überrascht stellte sie fest, dass sie das Wolfstor hinter sich gelassen hatte. Was hatte die Alte gesagt? Sie könne ihrer Bestimmung nicht entgehen, sei bereit, ihr Leben für ihre Freunde zu opfern? Trotzig hob Lena den Kopf und sah sich um. Noch war es wohl nicht so weit, denn das Dorf Mühlbronnen vor der Mauer erschien ihr alles andere als lebensgefährlich – außer, ihr lauerte ein Beutelschneider auf. Ihr wilder Lauf hatte sie geradewegs in die jämmerliche Gegend verschlagen, in der Rosi und ihre Familie lebten. Hier, außerhalb des Tors, wo es
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