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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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zur Handelsstraße ging, hatten ärmliche Handwerker ihre Werkstätten, hier wohnten die Witwen, die Winkelfeger und viele weitere Einwohner der reichen Stadt, die kein geregeltes Einkommen besaßen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, den Vater heute Abend um Erlaubnis zu fragen, ob sie Rosis Brüder für die Lese einstellen dürfte. Aber jetzt, wo sie schon einmal da war, konnte sie es auch gleich tun. Und bei der Gelegenheit würde sie Rosi gleich um den Gefallen bitten, den diese ihr nach dem katastrophalen Abend in der Schenke schuldig war.
    Entschlossen zog sie ihr Schultertuch über den Kopf und suchte das Häuschen der Familie Rufle. Es stand in zweiter Reihe hinter den Gebäuden, die sich an der Handelsstraße zusammendrängten wie ein Schwarm verlorener Hühner. Während in der Webergasse Häuser und Kontore der Patrizier bis zu vier Geschosse in den Himmel wuchsen, war hier nach einem oder zwei wacklig gebauten Stockwerken Schluss. Im Erdgeschoss lebten die Ziegen, falls die Familie welche hatte, weiter oben profitierten die Menschen von der Wärme, die von unten aufstieg. Kleine Ställe und baufällige Hütten, selbst gezimmert aus alten Brettern, umschlossen die Häuser wie ein Lumpenmantel. Familie Rufles Häuschen war besonders klein. Windschief duckte es sich an das Gebäude daneben. Die Tür hing knarrend in den Angeln und schien nicht richtig zu schließen. Als Lena in den Hof trat, rannte eine magere Ratte in Panik davon und verschwand unter einem Bretterstapel. Einige Enten und Gänse suchten den Boden nach essbaren Pflanzenresten ab. Drei kleine Kinder in geflickten Leinenhemden hockten barfuß im Staub und ließen Murmeln einen spitzen Lehmberg hinabrollen. Alle hatten lockige, dunkle Haare. Dünne Arme und Beine schauten aus den zerlumpten Kitteln. Wie viele Köpfe zählte die Familie Rufle eigentlich?
    »Nein, Katterle!«, schrie der Älteste plötzlich. »Du bescheißt!« Er haute der kleinen Schwester eine runter, die sofort zu heulen begann. »Das darf man nicht!«
    Ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren, kam aus dem Haus geschossen, dass das Federvieh nur so auseinanderstob. Es stellte eine Schale ab, aus der Bohnen und Wasser gleichzeitig auf den Boden schwappten, und versetzte seinen kleinen Geschwistern blitzschnell eine gepfefferte Ohrfeige, woraufhin auch die beiden älteren Buben zu heulen anfingen.
    »Hans, Jacob, Katterle! Ihr sollt euch nicht streiten!«, rief sie und stemmte die Hände in die Hüften.
    Lena fühlte sich inmitten des Trubels verloren und hätte fast das Weite gesucht, doch plötzlich drehte sich die Ältere zu ihr um. Ihre Hände waren vom kalten Wasser, in dem sie die Bohnen gewaschen hatte, rot und rissig. Misstrauisch kniff sie ihre Augen zusammen.
    »He, was willst du da?«, rief sie feindselig.
    Lena fasste sich ein Herz und trat näher. »Ich bin Lena. Ist die Rosi da?«, fragte sie. »Ich hab vielleicht eine Arbeit im Weinberg für euch.«
    Schweigend verschwand die Kleine im Haus. Einen Moment später trat Rosi vor die Tür und wurde bleich wie ein Leintuch, als sie erkannte, wer sie da besuchte.
    »Oh, Lena«, flüsterte sie und legte die Hand vor den Mund.
    »Schon gut«, sagte Lena mürrisch. »Es war schließlich alles meine eigene Dummheit.«
    Einen Augenblick später lagen sich die Mädchen in den Armen.
    »Komm!«, sagte Rosi und zog Lena zu einer klapprigen Bank, die unter einem spät blühenden, weißen Rosenstrauch an der Hauswand stand.
    »Der Abend in der Schenke ist mir so nachgegangen!«, flüsterte Rosi. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass Berthe und Hanna ihren Schabernack mit dir treiben würden.«
    Lena sah, dass Rosi sich trotz der frühen Stunde die Lippen gefärbt hatte. Ihr Mieder zeigte offenherzig ihren beeindruckenden Brustansatz.
    »Schon gut.« Lena machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich hätte merken müssen, dass mir der Wirt was ins Glas geschüttet hat.«
    »Ich hab keine Arbeit mehr im Schwarzen Eber«, flüsterte Rosi.
    Lenas Augen wurden groß. »Wegen mir?«
    Rosi biss sich auf die Lippen und nickte. »Ich hab meinen Mund zu weit aufgemacht, gegen den Wirt. Und da bin ich rausgeflogen.«
    Lena legte ihr den Arm um die Schultern. »Das wollt ich nicht.«
    »Schon gut. Ich hab schon was Neues«, sagte Rosi geheimnisvoll.
    »Wie schön! Aber ich bin noch wegen zwei anderer Sachen hier. Zum einen wollte ich fragen, ob der Karl und der Arnold uns bei der Lese helfen können.«
    Rosis Augen leuchteten auf. »Klar können sie!

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