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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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sondern auch daran, dass er selbst ein anderer geworden war. Er ging neben Lena, und die Straßen schwankten leise, als hätten sich die Wolken des Himmels unter seine Füße gelegt. Feuchtigkeit setzte sich auf seine Haut und in seine Haare und kräuselte Lenas geflochtenen Zopf. Ihre Augen waren so grau wie der Regen, darunter lagen schwarze Schatten. Gehetzt blickte er sich um. Kaum jemand war auf den Straßen. Wer ging bei diesem Nieselwetter auch schon freiwillig aus dem Haus? Die Hausfrauen heizten die Küchenfeuer an, und die Handwerker blieben in ihren Werkstätten und arbeiteten besonders eifrig, um sich warm zu halten. Auch der Markt war menschenleer. Missmutig packten die Händler im Dämmerlicht des Herbstnachmittags ihre Stände zusammen und hauchten sich in die kalten Finger. Ein Würzwein wäre jetzt gerade richtig, dachte Valentin, aber Lena folgte dem Gassenjungen Fredi, ohne sich nach rechts und links umzusehen. Sie schien auch ihn ganz vergessen zu haben.
    Berthes Bote lief drei Schritte vor ihnen. Valentin schaute auf dessen verfilzten Lockenschopf und den verschlissenen Kittel. Fredi hatte keine Familie und verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er auf dem Markt aushalf. Er hätte auch ins Spital gehen können, wo seine Mutter mit den anderen Augustinerschwestern für die Bedürftigen und Waisenkinder sorgte. Aber wahrscheinlich brauchte der Junge seine Freiheit. Valentin war sich sicher, dass er sein Einkommen mit kleinen Gaunereien aufbesserte.
    »Jetzt lauft etwas schneller.« Der Junge drehte sich um und schaute sie aus braunen Augen an. Hunger stand in seinem schmalen Rattengesicht. »Berthe hat nicht ewig Zeit.«
    »Nein, die muss sich um ihr Geschäft kümmern«, spottete Valentin.
    »Wir sollten uns wirklich beeilen«, warf Lena ein. »Du musst so schnell wie möglich ins Kloster zurück.« Damit hatte sie recht.
    Sie gingen über den Kornmarkt und am Spital vorbei. Der Regen legte sich wie ein Schleier über sein Gesicht. Flüchtig überlegte er, ob er seiner Mutter einen Besuch abstatten sollte, aber Lena hatte recht. Er gehörte nicht in diese Umgebung. Unruhig schaute er sich nach Stefan von Hardenberg um, der ihn sicher gern einkassiert hätte, doch vor dem Spital machte nur eine frierende Pilgergruppe halt, die um Einlass bat und ihre Pilgermuscheln vorwies.
    Valentins Augen wanderten zur Baustelle der Liebfrauenkapelle, die leicht erhöht nordwestlich vom Marktplatz lag. Um den halbfertigen Chor waberten Nebelschleier. Bald würde der Bau über den Winter ruhen. Aber noch wurde geklopft und gehämmert. Donnernd ergoss sich eine Fuhre Sandsteine vom Schurwald von der Ladefläche eines Karrens auf den Boden an der Südwand des Chores und wurde von den Steinmetzen genauestens begutachtet. Valentin wusste, dass der Parler nichts von heimischem Baumaterial hielt. Die Esslinger Geistlichkeit aber bestand als Bauherr auf dem günstigen, schnell verfügbaren Stein. Leichtfüßig wie ein junger Bursche stieg Meister Heinrich Parler vom Gerüst, zog sich die Wollmütze vom Kopf und raufte sich beim Anblick des Sandsteins den weißen, wolligen Schopf. Bevor er mit dem Kärcher sprechen konnte, bemerkte er Valentin und Lena unten am Marktplatz und schwenkte gut gelaunt seine Mütze. Valentin schluckte. Da legte sich Lenas Hand auf seine.
    »Lass uns ihn besuchen. Nur kurz.«
    Fredi verdrehte die Augen, aber sie strebte schon zielstrebig den kleinen Hang hinauf, der den Spitalplatz von der Baustelle trennte. Im Nu waren sie von den Steinhauern, den Steinmetzen und Maurern umgeben. Es herrschte ein großes Hallo. Auch Meister Heinrich Parler freute sich sichtlich und klopfte ihm auf die Schultern.
    »Na, Valentin.« Der Alte sah ihn prüfend an. »Dir scheint das Klosterleben zu bekommen. Fett wirst du da zwar nicht, aber gewachsen bist du trotzdem noch ein bisschen.«
    Valentin wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Dass die letzten Monate ihn zu einem anderen gemacht hatten. Eine Handbreit zusätzliche Körpergröße war da nicht weiter wichtig.
    »Aber du, Lena, bist blass um die Nase.«
    Lena nickte. »Ich hab auch Grund dazu«, flüsterte sie, und der Alte nickte wissend.
    »Es spricht sich rum, was geschieht«, sagte er. »Sieh zu, dass du da wieder rauskommst und dass du dir den Glasmaler aus Burgund angelst! Und du, Valentin bist mir immer willkommen, wenn du deinen Prozess überstanden hast. Wir jedenfalls haben an deine Unschuld glaubt.« Die Männer standen im Kreis und

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