Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Wildschwein immer noch nicht verstehen, was dort unten gesprochen wurde, was zum allergrößten Teil allerdings daran lag, dass alle wild durcheinander schnatterten und riefen, sodass Grahl Mühe hatte, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Aber ihr ungutes Gefühl wuchs, als sie sah, dass Kron verletzt war.
    Er presste den linken Arm fest gegen den Leib und trug einen flüchtig gefertigten Verband aus Blättern um das Handgelenk und den Unterarm, der von dunkelbraunen, hässlich eingetrockneten Flecken verunziert war. Obwohl sein struppiges Haar weit ins Gesicht hing und er den verfilzten Bart das letzte Mal vermutlich vor zwei oder drei Sommern geschnitten hatte, konnte Arri erkennen, wie blass er war. Anscheinend, dachte sie, war die Jagd diesmal nicht so glatt verlaufen, wie Grahl und seine Brüder es vor ihrem Aufbruch vollmundig verkündet hatten. Sie selbst war nur ein einziges Mal auf ein angriffslustiges Wildschwein gestoßen, und sie hatte diese Begegnung nur überlebt, weil sie sich mit einer Schnelligkeit auf einen Baum geflüchtet hatte, die sie sich selbst bis zu diesem Moment niemals zugetraut hätte. Wildschweine waren weder besonders groß, noch sahen sie außergewöhnlich beeindruckend oder gar schnell aus, und doch waren allein in der Zeit, in der ihre Mutter und sie jetzt in diesem Dorf lebten, schon zwei Jäger von ihnen getötet worden, und es verging kein Sommer, in dem nicht wenigstens einer eine schwere Verletzung davontrug.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie. Die Frage war an niemand Besonderen gerichtet, und sie bekam auch keine Antwort. Die Blicke aller hingen wie gebannt an Grahls Lippen, der mit aufgeregter Stimme und noch aufgeregter gestikulierend erzählte, wobei er immer wieder in Richtung des Sonnenaufgangs deutete, wo er und seine Brüder die Wildschweinherde verfolgt hatten.
    Arri setzte den Krug ab, legte die letzten Schritte schneller zurück und fragte noch einmal: »Was ist geschehen?«
    Diesmal bekam sie eine Antwort, wenn auch nicht von Grahl oder einem der anderen Erwachsenen, sondern von Osh, einem Jungen aus dem Dorf, der zwei oder drei Sommer jünger war als sie, dennoch aber erstaunlich groß. Arri hatte kein gutes Verhältnis zu ihm - was allerdings auf nahezu alle Kinder aus dem Dorf zutraf -, und er ließ seinerseits gewöhnlich keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen, sie zu ärgern oder sich über sie lustig zu machen. Jetzt aber drehte er sich eilfertig zu ihr um und antwortete in einem Ton, als wäre die Neuigkeit, die er ihr mitzuteilen hatte, sein alleiniger Verdienst. »Sie sind angegriffen worden! Feinde, die über die Berge gekommen sind! Eine ganze Horde!«
    Arri sah ihn einen Moment lang zweifelnd an. Osh war ein Dummkopf und ein Angeber dazu, dem man nicht glauben konnte. Aber Grahls Stimme klang mehr als aufgeregt, und obwohl sie viel zu verwirrt war, um wirklich hinzuhören, glaubte sie doch Worte wie Riesen, Feinde und Schlacht zu vernehmen. »Wo ist Ans?«, fragte sie.
    Oshs Gesicht nahm einen gewichtigen Ausdruck an. »Tot.«
    Arri erschrak. »Tot?« Der Tod gehörte zum Leben im Dorf dazu wie der tägliche Sonnenaufgang und der immer gleiche Wechsel von Sommer und Winter, und er konnte jeden jederzeit treffen, sodass er zwar stets ein Anlass zur Trauer war, aber selten überraschend kam. In diesem Augenblick aber, in dem Grahl mit schriller Stimme erzählte und sein sichtlich schwer verwundeter Bruder mit totenbleichem Gesicht die eine oder andere Ergänzung dazu gab, erschreckte dieses Wort Arri zutiefst. Was, wenn Osh sich nicht nur wichtig machte, sondern die Wahrheit sprach?
    Ohne auf die heftig durcheinander schnatternden Männer und Frauen zu achten, bahnte sich Arri einen Weg zu den beiden Jägern und zupfte Grahl am Ärmel seines Umhangs, der grob aus unterschiedlich großen Stücken Wildschweinfell zusammengenäht war und weder bequem noch wirklich warm sein konnte, dafür aber hervorragend zu der schweren Kette aus Bärenkrallen und Hauern passte, die der Jäger um den Hals trug. Grahl genoss zu Recht den Ruf eines hervorragenden Jägers, war darüber hinaus aber ein ziemlicher Dummkopf und Angeber. Arri musste zwei oder drei Mal an seinem Arm zerren, bis es ihr gelang, seine Aufmerksamkeit zu erregen, und er wenigstens für einen Moment sein heftiges Fuchteln mit den Armen einstellte.
    »Was?«, fauchte er.
    »Dein Bruder«, antwortete Arri. »Er ist verletzt. Bring ihn zu meiner Mutter.«
    In Grahls eng beieinander stehenden, unter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher