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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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noch einmal. »Wir könnten sagen, dass sie uns angegriffen hat und wir sie töten mussten, um uns vor ihrer Magie zu schützen.«
    Der Speer in seinen Händen zitterte noch heftiger, als er den Druck auf die Waffe verstärkte, und diesmal floss Blut, wenn auch nur einige wenige Tropfen, und Arri sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und wappnete sich gegen den Schmerz, der nun kommen musste - aber dann zog der Krieger den Speer mit einem Ruck zurück, spie angeekelt vor Arri auf den Boden und drehte sich abrupt um. Als er den Raum verließ, ähnelte es mehr als alles andere einer Flucht - was ihn allerdings nicht daran hinderte, noch im Hinausgehen mit seinem Speer die Schale mit dem mitgebrachten Brei umzustoßen.
    Arri atmete so erleichtert auf, dass es wohl noch auf der anderen Seite der dicken Tür zu hören sein musste. Plötzlich zitterten ihre Knie so heftig, dass sie sich nicht mehr halten konnte und an der Wand entlang in die Hocke sank, wo sie mit hämmerndem Herzen und keuchendem Atem eine geraume Weile sitzen blieb. Ganz plötzlich hatte sie das Gefühl, dem Tod gerade um Haaresbreite entgangen zu sein, und vielleicht um weniger als Haaresbreite. Jamu hatte sie auf genau die Art angestarrt, wie sie für Männer seines Schlags üblich war, aber unter der Gier in seinen Augen - nicht sehr tief darunter, und auch nicht besonders gut versteckt - war noch etwas anderes gewesen. Jamu hatte sie töten wollen. Nicht weil er Angst vor ihr hatte oder wegen des Unsinns, den Nor ihm über sie oder ihre Mutter erzählt haben mochte. Was sie in seinen Augen gelesen hatte, war blanker, unverhohlener Hass gewesen.
    Aber warum? Was hatte sie ihm getan?
    Sie wartete, bis ihr Herz aufgehört hatte, wie verrückt von innen gegen ihre Rippen zu hämmern, dann ließ sie sich nach vorn auf beide Hände und das unversehrte Knie sinken und kroch zur Tür, um die Schale aufzuheben, die Jamu im Hinausgehen umgestoßen hatte.
    Die Schale war nahezu leer und ihr ohnehin kümmerlicher Inhalt auf dem Boden verschüttet.
    Wenigstens hatte er ihr das Wasser gelassen. Einen Tag ohne Essen würde sie aushalten, aber einen ganzen Tag ohne Wasser - und vielleicht auch noch eine ganze Nacht, falls Rahn auch heute nicht kam -vielleicht nicht. Arri war mittlerweile fast sicher, dass man ihr nicht zufällig nur gerade so viel zu essen und zu trinken gab, dass sie am Leben blieb, aber ganz bestimmt nicht mehr. Ohne das bisschen zusätzliche Essen, das Rahn ihr heimlich gebracht hatte, wäre sie vielleicht schon jetzt kaum noch in der Lage gewesen, aus eigener Kraft zu stehen. Wollte man sie vielleicht aushungern, um sicherzugehen, dass sie auch ganz bestimmt auf die Knie fiel, wenn man sie irgendwann zu Nor brachte?
    Vorsichtig und mit beiden Händen ergriff sie die Wasserschale und trank einen großen Schluck. Ihre Vernunft sagte ihr, dass sie besser daran täte, sich die paar jämmerlichen Schlucke einzuteilen, denn es konnte gut sein, dass es bis zum nächsten Tag dauern würde, bevor sie wieder etwas bekam. Aber Vernunft war eine feine Sache, so lange man sie sich leisten konnte, und sie pflegte rasch an Macht zu verlieren, wenn man nur durstig genug war; und Arri war mittlerweile sehr durstig. Sie zögerte noch einen letzten Atemzug, dann zuckte sie seufzend mit den Schultern und leerte die Schale bis auf einen winzigen Rest, den sie sich für den Moment aufsparen wollte, wenn der Durst gar zu übermächtig würde.
    Anschließend hob sie die umgekippte Schale Brei auf und leckte den kümmerlichen Rest heraus, der darin verblieben war, und sie ertappte sich tatsächlich bei der ernsthaften Überlegung, den verschütteten Brei vom Boden noch irgendwie aufzusammeln, um ihn sich einzuverleiben. Die Vorstellung war ziemlich widerlich, aber vielleicht letzten Endes nicht so schlimm wie der Gedanke, bis zum nächsten Tag hungern zu müssen.
    Doch noch war ihr Stolz stärker als der Hunger, der in ihren Eingeweiden wühlte, und sie war nicht einmal sicher, dass der Krieger die Schale nicht sogar auf Nors ausdrücklichen Befehl hin umgestoßen hatte, und zwar aus keinem anderen Grund als dem, sich davon zu überzeugen, wie weit ihr Wille und ihr Stolz schon gebrochen waren.
    Auch dieser Tag endete, ohne dass noch irgendetwas geschah oder jemand kam, und als die Nacht hereinbrach und die Zeit verrann und die Tür ihres Gefängnisses nicht aufging, um Rahn einzulassen, wuchs Arris Verzweiflung ins Grenzenlose. Vielleicht hatte sie sich ja

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