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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Überzeugung, vollkommen unbeobachtet und sicher zu sein, bekam dann doch einen gehörigen Knacks, als sie sich zur Tür wandte und die Hand hob, um zu klopfen, denn diese wurde aufgerissen, noch bevor Arri sie erreichte, und einer der beiden Krieger winkte sie mit einer herrischen Bewegung heraus. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, aber auf dem des anderen zeigte sich dafür ein umso breiteres Grinsen, das jede weitere Frage Arris überflüssig machte.
    Zu ihrer eigenen Überraschung spürte sie, wie sie rot wurde.
    Sie warf dem Krieger einen giftigen Blick zu - sein Grinsen wurde noch breiter -, warf mit einer trotzigen Bewegung den Kopf in den Nacken und trat so gelassen zwischen den beiden Männern hindurch, wie sie nur konnte. »Wohin bringt ihr mich?«, fragte sie.
    Sie rechnete nicht mit einer Antwort und war fast selbst überrascht, als sie sie bekam.
    »Zu Nor. Und jetzt schweig und geh schneller. Der Hohepriester wartet nicht gern.«
    Arri beschleunigte ihre Schritte tatsächlich. So lange sie Acht gab, machte ihr Bein ihr nicht allzu viel zu schaffen, aber sie spürte, dass sich das bei der geringsten unvorsichtigen Bewegung sehr schnell ändern würde. Ihre Begleiter wirkten wenig begeistert, ersparten sich aber jede weitere Bemerkung und beließen es dabei, sie mit unwilligen Gesten vor sich herzuscheuchen. Doch sie rührten sie nicht an.
    Während sie den Platz - diesmal in Richtung des Palisadenzaunes -überquerten, fiel Arri auf, wie still es war. Die Sonne war schon vor einer geraumen Weile aufgegangen, und der Platz hätte vom geschäftigen Treiben von Menschen, von ihren Stimmen und ihrem Lachen, von ihren Schritten und den Geräuschen, die sie bei ihrer Arbeit verursachten, widerhallen müssen, doch sie hörte nichts; nicht einmal aus einem der Häuser drang auch nur der geringste Laut. Dieser sonderbare Ort, dachte sie, hatte entweder keine Bewohner - oder sie waren allesamt fort.
    Arri konnte nicht sagen, welche dieser beiden Vorstellungen ihr größeres Unbehagen bereitete.
    Auch der schmale Weg, der zu dem geschlossenen Tor in der Umfriedung dieses steinernen Ortes führte, wurde von gemauerten Gebäuden ganz ähnlicher Größe und Schlichtheit flankiert. Ein eigentümliches Gefühl ergriff von ihr Besitz. Sie hatte Häuser wie diese noch nie gesehen, aber das war es nicht. Die Welt war schließlich voll von Dingen, die sie noch nie gesehen hatte. Diesen versteinerten Hütten jedoch haftete etwas Gespenstisches an, etwas auf nicht in Worte zu fassende Weise. Uraltes.
    Vielleicht waren es auch gar nicht die Wände aus gewaltigen, sorgsam aufeinander gesetzten Steinquadern und die ungewohnt eckige Bauweise, deren scharfe Linien und Kanten regelrecht in den Augen zu schmerzen schienen, sondern viel mehr die unheimliche Stille, die über der ganzen Anlage lag. Arri hatte das bedrückende Gefühl, sich mit jedem Schritt tiefer in eine Welt hineinzubegeben, die untergegangen war, lange bevor es Menschen wie sie überhaupt gegeben hatte. Der Anblick berührte etwas in ihr, und für einen Moment war sie sicher - so verrückt ihr der Gedanke auch selbst vorkommen mochte, aber sie war es! - , sich an etwas zu erinnern, was sie niemals gesehen hatte.
    Hatte die untergegangene Welt jenseits des Meeres, von der ihre Mutter ihr so oft erzählt hatte, so ausgesehen? Arri verspürte ein kurzes, aber heftiges Frösteln, als hätte sie ein eisiger Windstoß getroffen. Wenn es so war, dann war sie beinahe froh, sie niemals mit eigenen Augen gesehen zu haben.
    Unwillkürlich verlangsamte sie ihre Schritte, als sie sich dem geschlossenen Tor im Palisadenzaun näherten, und wollte auch ein Stück zur Seite treten, um den Männern hinter sich Platz zu machen, damit sie an ihr vorbeigehen und das Tor öffnen konnten. Einer der beiden gab jedoch nur ein unwilliges Grunzen von sich, und nachdem Arri ihm über die Schulter hinweg einen verwirrten Blick zugeworfen hatte und sich wieder nach vorne wandte, erlebte sie eine Überraschung: Als sie sich dem Tor bis auf acht oder zehn Schritte genähert hatten, erscholl ein dumpfer, knirschender Laut, und einer der beiden übermannsgroßen Flügel begann sich ächzend zu bewegen und schwang ein Stück weit auf.
    Arri war nur kurz wirklich überrascht; dann wurde ihr klar, dass es irgendwo dort draußen ein verborgenes Seil geben musste, an dem einer oder auch mehrere genauso verborgene Männer zogen. Nichts als eine List, um Eindruck zu schinden, dachte sie spöttisch.

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