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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mochte, aber es war eine sonderbar verstandesmäßige Art von Furcht gewesen, die sie trotz allem nicht wirklich berührte. Sie hatte ihren Verstand in Aufruhr versetzt und -selbstverständlich - ihre Vorstellungskraft.
    Nun aber nahm etwas ganz anderes von ihr Besitz, etwas Uraltes und Machtvolles, das wie eine eisige Klaue nach ihrer Seele griff, ihren Magen zusammenpresste und ihr die Luft abschnürte. Plötzlich begannen ihre Knie zu zittern, sodass es ihr immer schwerer fiel, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und ihr Herz schien mit einem Mal irgendwo ganz oben in ihrer Kehle zu klopfen und ihr zusätzlich den Atem zu nehmen. Ein Gefühl von. Endgültigkeit streifte sie, das sie so noch niemals gespürt hatte, nicht einmal in jenen schrecklichen Momenten in der Mine, als sie felsenfest davon überzeugt gewesen war, sterben zu müssen. Ihr Leben, das bisher wie ein zwar unbekannter, aber endlos langer Pfad vor ihr gelegen hatte, schien ihr mit einem Male endlich; der Weg, hinter dessen Biegungen so viele unbekannte Dinge, manche davon vielleicht erschreckend, manche schlimm, andere aber auch wunderbar, warten mochten, führte nicht weiter. Irgendetwas sagte ihr mit unerschütterlicher Gewissheit, dass er endete, nicht irgendwann und irgendwo, sondern heute, jetzt und hier, in diesem Haus.
    Der Mann hinter ihr versetzte ihr einen sachten Stoß zwischen die Schulterblätter, als ihre Schritte immer langsamer wurden und sie stehen zu bleiben drohte. Arri stolperte, obwohl die Berührung nicht einmal kräftig genug gewesen war, um sie tatsächlich aus dem Gleichgewicht zu bringen, sondern allenfalls so etwas wie eine Warnung gewesen war. Sie ging wieder schneller und versuchte gleichzeitig, die unsinnige Angst niederzukämpfen, die in immer stärkerem Maße von ihren Gedanken Besitz ergreifen wollte.
    Natürlich erreichte sie damit eher das Gegenteil. Ihr Herz klopfte noch heftiger, und ihre Knie zitterten jetzt so stark, dass es sie tatsächlich alle Mühe kostete, sich noch auf den Beinen zu halten. Sie wünschte sich, ihre Mutter wäre hier, um diesem Albtraum ein Ende zu machen.
    Flankiert von den beiden Männern, die nun so dicht zu ihr aufgeschlossen hatten, dass Arri ihre Nähe geradezu körperlich spüren konnte, näherte sie sich dem hinteren Teil des großen Raumes, der tatsächlich das gesamte Innere des Langhauses zu beanspruchen schien. So riesig das Gebäude auch war, wirkte es im Moment trotzdem beengt, denn es quoll geradezu über vor Menschen. Nor musste all seine Untertanen zusammengerufen haben, damit sie an dieser Unterredung teilnehmen konnten, und auch diese Erkenntnis trug nicht unbedingt zu Arris Beruhigung bei. Es waren Dutzende - Männer, Frauen, Kinder, Greise, aber auch Krieger und Mütter, die ihre Säuglinge auf den Armen trugen, und was Arri in den Gesichtern der Menschen las, die nur widerwillig vor ihr und ihren Begleitern zur Seite wichen, das war überall und fast ausnahmslos dasselbe: Eine Mischung aus Neugier und jener Scheu, mit der man vielleicht ein exotisches und gefährliches Tier betrachten mochte, allerdings eines, das sicher in einem Käfig eingesperrt war und somit keine Gefahr mehr darstellen konnte, aber auch etwas wie eine boshafte Schadenfreude, Häme und Zorn, und nur zu oft blanken Hass. Was hatte Nor über sie und ihre Mutter erzählt?
    Und schließlich stand sie Nor selbst gegenüber. Einer der beiden Männer hinter ihr legte ihr die Hand auf die Schulter, damit sie stehen blieb, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Arri erstarrte mitten in der Bewegung, als sie sich dem Herrn von Goseg gegenüber sah, und für einen Atemzug spülten der aufflammende Zorn und die Wut ihre Furcht einfach davon. Nor - sie erkannte auch sein Gesicht nur schemenhaft, denn auch der hintere Teil des Hauses war unzureichend beleuchtet, was Arri mittlerweile aber nicht mehr für einen Zufall hielt - saß nicht etwa auf dem Boden, wie sie erwartet hatte, sondern hatte auf einem hochlehnigen Stuhl mit geflochtenen Arm- und Rückenlehnen Platz genommen, den Arri nur zu gut kannte.
    Es war der Korbstuhl ihrer Mutter. Offensichtlich hatte er ihn aus ihrem Haus bringen und hier aufstellen lassen. Es war nur ein Möbelstück, kostbar vielleicht, aber nichts gegen das, worum es hier wirklich ging, und doch versetzte der Anblick Arri für einen Moment in einen solch rasenden Zorn, dass sie sich am liebsten auf den greisen Schamanen gestürzt und mit Fäusten auf ihn eingeschlagen

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