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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Anlass zu nehmen, sie schlagen zu lassen, und fuhr fort: »Eigentlich wäre es deine Mutter, die hier vor uns stehen und sich für ihre Taten verantworten müsste. Aber da sie es vorgezogen hat, feige davonzulaufen und ihr einziges Kind seinem Schicksal zu überlassen, wirst du an ihrer Stelle sein.«
    Arri erhob sich mühsam in eine zwar kniende, aber dennoch halbwegs aufrechte Haltung, wagte es aber nicht, gänzlich aufzustehen. Auf einen Wink Nors hin zerrte sie einer der beiden Männer grob in die Höhe. Sie stand kaum auf ihren Füßen, da ergriff der andere auch schon ihren anderen Oberarm und hielt ihn so derb fest, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Allem Anschein nach war einfach alles, was sie hier sagte oder tat, falsch. Sie tröstete sich damit, dass das weniger an ihr lag, als vielmehr daran, dass Nor das eben so wollte.
    »Ich verstehe nicht, was Ihr überhaupt von mir wollt«, sagte sie, zwar laut, aber mit viel weniger fester Stimme, als sie beabsichtigt hatte. »Warum bin ich hier? Was werft Ihr meiner Mutter vor?«
    Nor riss die Augen auf und ächzte, als hätte sie keine harmlose Frage gestellt, sondern ihn auf die unverschämteste Art beleidigt, die man sich nur denken konnte, und auch in der Menge hinter ihr wurde ein unwilliges Murren und Raunen laut, und ein paar Rufe, deren genaue Bedeutung sie lieber nicht verstand. Selbst Rahn, der hinter Nors Thron stand und sich bisher nach Kräften bemüht hatte, so zu tun, als wäre sie gar nicht da, fuhr zusammen und starrte sie erschrocken an.
    »Was deine Mutter getan hat?«, ächzte Nor. Er beugte sich in seinem gestohlenen Stuhl vor und starrte sie aus plötzlich schmal zusammengekniffenen Augen an. »Was deine Mutter getan hat, fragst du?«, keuchte er noch einmal. »Bist du tatsächlich so dumm, wie du zu sein vorgibst, oder einfach nur unverschämt?«
    Arri hütete sich, irgendetwas darauf zu antworten oder auch nur eine entsprechende Miene zu verziehen, die dazu angetan gewesen wäre, Nors Unmut anzustacheln. Es war ohnehin gleich, was sie sagte oder tat.
    »Was deine Mutter getan hat, hat die Götter erzürnt, und wir sind hier zusammengekommen, um ihre Vergebung und ihre Gnade zu erflehen und über deine Mutter und dich Gericht zu sitzen.«
    Arri musste sich auf die Lippen beißen, um darauf nicht die passende Antwort zu geben. Sie war sicher, dass die Hälfte der Männer und Frauen, die hier zusammengekommen waren, nicht einmal verstand, wovon der Schamane überhaupt sprach und mehr als die Hälfte der verbliebenen Hälfte nicht wirklich daran Anteil nahm.
    »Aber gut«, fuhr Nor fort, »wenn du es möchtest, dann will ich dir gern antworten. Niemand soll mir nachsagen, ich wäre ungerecht oder hätte einer jungen Frau nicht die Gelegenheit gegeben, sich zu verteidigen.« Er legte eine kurze Pause ein, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, dann ließ er sich wieder zurücksinken und löste die rechte Hand von der Sessellehne, um sie in einer ebenso unbewussten wie Besitz ergreifenden Geste auf den Kopf des Mädchens zu senken, das neben ihm auf dem Boden hockte. Als er weitersprach, klang seine Stimme plötzlich ruhiger, aber auch sehr viel lauter, als wolle er sicher sein, dass auch der Letzte in dem großen Haus seine Worte hörte.
    »Du hast gefragt, was wir deiner Mutter vorwerfen. Ich will es dir sagen. Vor langer Zeit, als du noch ein kleines Kind warst, ist sie in unser Land gekommen. Sie war allein und hilflos, ohne einen Mann, ohne ein Ziel, ohne ein Volk oder Freunde. Sie hat uns um Hilfe gebeten, und wir haben ihr Gastfreundschaft und Schutz gewährt, wie es seit Urzeiten unser Brauch ist. Wir haben ihr erlaubt, sich bei uns niederzulassen und ein Haus zu bauen. Wir haben ihr zu essen gegeben, unseren Schutz und unser Land, und obwohl sie anderen Göttern huldigte als wir, haben wir nicht einmal verlangt, dass sie ihnen abschwört. Aber vielleicht war das ein Fehler, denn der Einfluss dieser Götter wurde stärker, mit jedem Sommer, den sie bei uns war.«
    Arri begriff sehr wohl, worauf er hinauswollte, aber sie war im ersten Moment dennoch überrascht. Obwohl sie Nor ebenso verachtete, wie sie ihn hasste, beging sie doch nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen. Nor mochte gierig und grausam sein, aber er war nicht dumm. Umso weniger verstand sie nun, warum er es ihr so leicht machte. Die innere Stimme, die sie schon so oft vergeblich zu warnen versucht hatte, meldete sich

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