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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eigentlich die Größe und Abmessung von Türen, nur, dass sie nicht direkt auf dem Boden angebracht waren, und nun sah Arri noch etwas, das ihr Unbehagen weiter schürte: Von weitem hatte es den Anschein gehabt, als würde die Tür von zwei wie erstarrt dastehenden, hoch gewachsenen Kriegern flankiert, die sich schwer auf ihre Speere stützten und runde, bronzene Schilde trugen, aber jetzt erkannte sie, warum die Männer vollkommen reglos dastanden.
    Sie konnten sich gar nicht bewegen, denn es waren gar keine Männer, sondern lebensgroße, kunstvoll aus Holz geschnitzte Statuen, die mit echten Waffen, echter Kleidung und wie Arri mit einem Anflug kalten Entsetzens feststellte, echten Haarschöpfen ausgestattet waren, deren unglückselige Besitzer ihre Haarpracht sicherlich nicht freiwillig hergegeben hatten. Ihre Gesichter waren nur grob geschnitzt, doch der unbehagliche Blick, mit dem Arri sie aus den Augenwinkeln musterte, machte ihr fast sofort klar, dass es sich dabei nicht um Nachlässigkeit, sondern ganz im Gegenteil um Absicht handelte, denn die grob angedeuteten Züge und starren Augen verliehen diesen stummen Wächtern etwas ungemein Bedrohliches.
    Und noch etwas geschah, das ihr ebenso unerklärlich blieb wie vieles von dem, was sie an diesem Morgen schon gesehen hatte, ihr aber dennoch einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ: Genau wie beim Anblick des versteinerten Dorfes vorhin hatte sie das Gefühl, etwas zu betrachten, das nicht hierher gehörte, sondern Teil einer Welt war, die es hier niemals gegeben hatte. Obwohl diese beiden Statuen ganz sicher aus nichts anderem als Holz und Stoff und Leder und Farbe bestanden, schien von ihnen doch zugleich etwas Wildes auszugehen, etwas, das einen erwarten ließ, sie im nächsten Augenblick aus ihrer ewigen Starre erwachen zu sehen, damit sie sich auf den frechen Eindringling stürzen konnten, der es wagte, die Ruhe dieses heiligen Ortes zu stören.
    So abwegig dieser Gedanke auch sein mochte, es gelang Arri nicht, ihn vollends in die unaufgeräumte Ecke ihres Bewusstseins zu verbannen, die für Unsinn, Ammenmärchen und Geschichten von jener Art vorbehalten war, mit denen man im Allgemeinen kleine Kinder erschreckte; oder auch schon einmal größere, auch wenn diese das niemals zuzugeben pflegten. So stark war der unheimliche Eindruck, von diesen leblosen, geschnitzten Augen angestarrt zu werden, dass sie ihren Schritt spürbar verlangsamte, während sie zwischen den beiden stummen Wächtern hindurchging und über die Schulter hinweg fragte: »Was bedeuten diese Figuren?«
    »Das weiß niemand«, antwortete der Mann, der schon mehrmals mit ihr gesprochen hatte. »Sicher nichts Gutes. Nor hat sie von einer seiner Reisen mitgebracht. Und jetzt geh schneller und schweig still!«
    Arri gehorchte beiden Befehlen; sie hatte es plötzlich sehr eilig, dem Blick dieser toten Augen zu entrinnen und durch die Tür zu eilen. Anders als in Targans Haus gab es hier keine Fenster, mit Ausnahmen der beiden Öffnungen rechts und links der Tür, sodass alles, was weiter als wenige Schritte jenseits des Eingangs lag, nur vom Schein einiger weniger, dafür aber heftig rußender Fackeln erhellt wurde, die längst der Wände brannten. Arri konnte auch jetzt kaum mehr als Schatten erkennen, doch selbst wenn sie vollkommen blind gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich gespürt, dass sich eine große Menschenmenge hier drinnen versammelt hatte. Dabei war das Raunen und Stimmengemurmel schlagartig und fast vollkommen verstummt, kaum dass sie eingetreten war, und obwohl Arri nur sehr wenige der zahlreichen Gesichter erkennen konnte, die sich in ihre Richtung gedreht hatten, spürte sie doch, dass sie jede einzelne Person hier drinnen anstarrte.
    Es war kein schönes Gefühl.
    Schlimmer noch als das Gefühl jedoch, mit zu vielen Menschen in einem viel zu kleinen Raum eingepfercht zu sein, war der Gestank, der ihr entgegenschlug. Es roch nach Rauch und Schweiß, nach Vieh und Mist und trockenem Mehl und nassem Stroh, aber auch nach Abfällen und schlecht gewordenem Obst, und ganz leicht auch nach etwas, das Arri sehr wohl im allerersten Moment erkannte, aber schlichtweg nicht wollte: nach Blut. Ihr Herz schlug plötzlich noch schneller, und dann, ohne Warnung und von einem Atemzug zum anderen, war die Angst da.
    Trotz allem hatte sie bisher keine wirkliche Angst verspürt. Furcht, ja. Unbehagen und Unsicherheit und selbstverständlich Angst vor dem, was sie hier erwarten

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