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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wie alt Nor war, doch er wirkte selbst im Sitzen noch einschüchternd, und auch Arri, die nun wirklich keinen Grund hatte, gut über ihn zu denken, zweifelte nicht daran, dass er all diese Tiere, deren Zähne und Klauen er nun als Trophäen um den Hals trug, selbst erlegt hatte, als er noch jünger gewesen war.
    Auch jetzt hatte er wieder seinen Stock bei sich, einen mannlangen Stab ganz ähnlich dem, den auch Sarn als Zeichen seiner Würde mit sich zu führen pflegte, den er aber nun fast nachlässig gegen die hohe Lehne des Stuhles gelegt hatte. Zusammen mit dem - ob nun gestohlenen oder nicht - Thronsessel, seinem barbarischen Kopfschmuck und der unnahbaren Härte in seinen Augen verlieh er der schmalen Gestalt des Schamanen eine Ausstrahlung von Macht, die Arri beinahe körperlich spüren konnte. Das Wort dieses Mannes war Gesetz, und schon die Bewegung seines kleinen Fingers reichte aus, um über Leben und Tod zu entscheiden. Und sie bildete sich ein, sich ihm widersetzen zu können? Lächerlich!
    Arri spürte gerade noch im letzten Moment, wie nahe sie daran war, nun ebenfalls Nors Ausstrahlung zu erliegen, und gemahnte sich in Gedanken zur Vorsicht. Dass sie im Grunde sehr genau wusste, dass Nor diese Ausstrahlung bewusst aufgebaut hatte und mit großer Sorgfalt hütete und pflegte und dass sich hinter dieser Ausstrahlung vermeintlicher Macht und Allwissenheit nichts anderes als ein boshafter, gieriger alter Mann verbarg, änderte nichts daran, dass sie ihre Wirkung tat. Sie musste auf der Hut sein. Vielleicht hatte sie noch eine ganz geringe Aussicht, mit dem Leben davonzukommen, aber wenn, dann nur, wenn sie einen klaren Kopf behielt.
    Arri straffte sich, reckte trotzig das Kinn vor und sah dem Schamanen so fest in die Augen, wie sie nur konnte. Der Zorn in Nors Blick loderte noch heller und verschwand dann, um einem Ausdruck kalter Verachtung Platz zu machen. Trotzdem hatte der winzige Moment gereicht, Arri endgültig klarzumachen, auf welch dünnem Eis sie sich bewegte. Sie wusste nicht genau, was Nor von ihr wollte. Sie wusste ja nicht einmal genau, warum sie überhaupt hier war, doch allein die große Anzahl von Menschen, die Nor zusammengerufen hatte, und die Krieger, die sie hielten, machten ihr klar, dass er nicht einfach nur mit ihr reden wollte. Viel mehr begriff sie plötzlich, dass sie Teil eines sorgsam vorbereiteten und für Nor zweifellos sehr wichtigen Rituals war, in dem sie eine ebenso wichtige Rolle spielte.
    »Du sollst mich ansehen, wenn ich mit dir rede, du unverschämtes Kind!«, fuhr Nor sie an. Er machte eine wütende Geste zu den Männern hinter ihr. »Lehrt sie Gehorsam!«
    Arri hatte ihn angesehen, und zwar so direkt, wie es überhaupt ging, und so konnte sie Nor jetzt einfach nur verwirrt anstarren und sich fragen, was er überhaupt von ihr wollte, doch in diesem Moment traf sie bereits ein harter Schlag in den Rücken, der sie nach vorn stolpern und auf die Knie fallen ließ. Irgendwie gelang es ihr, ihren Sturz abzufangen, sodass sie zumindest nicht mit dem Gesicht im Dreck landete, aber nun lag sie vor Nor auf den Knien, und wahrscheinlich war es ganz genau das, was er gewollt hatte. Ringsum wurde ein beifälliges Raunen laut, und die jüngere von Nors Frauen, die sie gerade schon so feindselig angeblickt hatte, verzog die Lippen zu einem schadenfroh Grinsen, bei dem sie zwei Reihen schmutziger und trotz ihrer Jugend bereits halb verfaulter Zähne offenbarte.
    »Das wird dich vielleicht ein bisschen Respekt lehren«, fuhr der Schamane fort. »Aber was erwarte ich von einer wie dir?«
    Arri schluckte mit Mühe die Antwort herunter, die ihr dazu auf den Lippen lag, aber sie spürte selbst, dass sie ihren Blick nicht annähernd so gut unter Kontrolle hatte wie ihr Gesicht. Das Mädchen neben Nor runzelte die Stirn, und auch die schmalen Finger des alten Schamanen schlossen sich einen Moment so fest um die Lehnen des Sessels, als wollte er sie zerbrechen. Dann aber entspannte er sich wieder und zwang stattdessen ein überhebliches Lächeln auf seine Lippen. Er würde ihr die Genugtuung nicht bieten, ihn hier und vor all seinen Untertanen wütend gemacht zu haben.
    »Du weißt, warum du hier bist?«, fuhr er nach einer Weile fort. Da Arri nicht das Gefühl hatte, dass er tatsächlich eine Antwort auf diese Frage erwartete und ihm auch keinen Anlass geben wollte, sie erneut züchtigen zu lassen, sah sie ihn nur weiter fragend an. Nor verzichtete darauf, dieses Schweigen abermals zum

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