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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hätte.
    Gottlob verrauchte ihr Zorn fast ebenso schnell, wie er aufgelodert war, sonst hätte sie möglicherweise wirklich etwas sehr Dummes getan; wobei sie mehr und mehr das ebenso ungute wie sichere Gefühl hatte, dass es absolut keine Rolle spielte, was sie tat oder sagte -oder auch nicht. Sie lenkte sich selbst damit ab, dass sie den Blick von dem Stuhl losriss, auf dem der Hohepriester saß, und ihre Aufmerksamkeit stattdessen dem Rest der regelrechten Versammlung zuwandte, die sie hier erwartete.
    Rechts und links von Nors gestohlenem Thron saßen seine beiden jüngeren Frauen, keine davon auch nur einen Tag älter als Arri und beide ausgesprochen hübsch, wahre Schönheiten mit glatten, runden Gesichtern und kräftigen Gliedern und Leibern, denen man ansah, wie wohlgenährt sie waren. Keines dieser Mädchen wusste wahrscheinlich auch nur, was das Wort Hunger bedeutete (zumindest, seit Nor sie zu sich genommen hatte), doch Arri hatte auf dem Weg hierher in genug schmale, ausgezehrte Gesichter geblickt, um zu wissen, woher all das gute und reichhaltige Essen stammte, dem sie ihr gesundes Äußeres verdankten, und obwohl es wahrscheinlich der unpassendste aller Momente überhaupt war, erschienen in diesem Augenblick von ihrem inneren Auge ein paar sehr drastische Bilder, mit denen ihre Phantasie sich auszumalen versuchte, welche Gegenleistung dieser grausame alte Mann dafür verlangte; und sie fragte sich, ob ein stets voller Magen und der Platz an einem Feuer, das niemals erlosch, diesen Preis wirklich wert waren.
    Fast als hätte sie ihre Gedanken gelesen, und vielleicht waren sie ja auch deutlich auf ihrem Gesicht zu erkennen, hob eine der jungen Frauen den Kopf und sah sie an. In ihren Augen blitzte etwas wie Trotz auf, dann blanker Zorn, den Arri sich zwar nicht erklären, den sie ebenso wenig aber auch wegleugnen konnte.
    Hastig riss sie den Blick vom Gesicht der jungen Frau los und wollte einen halben Schritt zurückweichen, wurde aber von den beiden hinter ihr stehenden Männern daran gehindert. Obwohl sie nicht einmal eine Bewegung gemacht hatte, um Widerstand zu leisten oder gar wegzulaufen, ergriffen die Krieger sie nun an den Oberarmen und hielten sie fest.
    »Arianrhod«, begann Nor. Der ungewohnte Name kam ihm nur schwer über die Lippen, und er sprach ihn noch dazu falsch aus, aber Arri war trotzdem beunruhigt. Woher kannte Nor ihren wirklichen Namen? Von ihrer Mutter ganz bestimmt nicht. Sie warf Rahn, der ein Stück links vom Priester und hinter ihm stand, einem ebenso fragenden wie vorwurfsvoll Blick zu, bekam aber nur ein angedeutetes Schulterzucken zur Antwort. Von mir nicht. Sie glaubte ihm.
    »Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!«, sagte Nor scharf. Einer der Männer, die Arri hielten, verlieh seinem Befehl unaufgefordert Nachdruck, indem er den Druck auf ihren Oberarm so verstärkte, dass es wehtat, und Arri wandte sich hastig wieder dem Schamanen zu.
    Nors tief in den Höhlen liegende Augen loderten vor Zorn, und auf seinem von Falten zerfurchten, vollkommen haarlosen Gesicht zeichnete sich ein noch viel größerer, brodelnder Zorn ab, eine Wut, die ganz gewiss nicht nur aus seinem Ärger darüber stammte, dass sie unverschämt genug war, nicht nur ihn anzusehen und bei seinem bloßen Anblick vor Ehrfurcht auf die Knie zu sinken. Erst jetzt, als Arri ihm direkt ins Gesicht sah, fiel ihr auf, wie sehr sich der Schamane seit ihrem letzten Treffen verändert hatte. In dem schwachen Licht und dem verwirrenden Spiel von Helligkeit und Schatten, das die Fackeln erzeugten, wirkte er deutlich gealtert, das jedoch nicht auf die Art, die man im Allgemeinen mit Begriffen wie Weisheit, Erfahrung oder gar Güte in Verbindung brachte, sondern ganz im Gegenteil auf eine harte, grausame Art.
    Widerwillig musste sich Arri eingestehen, dass Nor tatsächlich Macht ausstrahlte, wenn auch jene Art von Macht, die aus Furcht und dem Wissen erwuchs, wozu dieser Mann fähig war, und nicht aus Ehrfurcht oder gar Vertrauen. Er trug auch jetzt wieder seinen mit bunten Federn und Fell geschmückten Umhang, der aber trotz der hier drinnen herrschenden Kälte offen stand, sodass man seine magere Brust sehen konnte. Um den Hals trug er eine Kette aus Bärenklauen und -fängen und den Hauern von Wildschweinen, die bei jedem anderen Mann seines unübersehbaren Alters einfach nur angeberisch gewirkt hätte, in Verbindung mit Nors trotz allem immer noch beeindruckender Gestalt aber nicht. Niemand wusste genau,

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