Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Schamane. »Aber du darfst dich nicht von ihr leiten lassen. Du musst den Dingen die Zeit lassen, die sie brauchen. Besinne dich stattdessen auf die Kraft, die in der Ruhe liegt.«
»Ja«, schimpfte Lexz. »Ich lasse den Angreifern die Zeit, Torgon und Ekarna in aller Ruhe zu erschlagen. Eine wirklich gute Idee.«
»Willst du ihnen denn tatsächlich in deinem jetzigen Zustand gegenübertreten?«, fragte der Schamane in seinem Kopf.
Nein, das wollte er natürlich nicht.
»Du würdest nichts weiter nützen, als deine Gefährten von ihrem eigenen Kampf abzulenken«, gab Zakaan zu bedenken. »Sie müssten dich beschützen. Das würde sie schwächen.«
»Unsinn«, murmelte Lexz. »Im Gegenteil, ich würde ihnen doch beistehen!«
Wenn er erwartet hatte, dass er jetzt eine Antwort bekam, sah er sich getäuscht. Die Stimme in seinem Kopf schwieg, als wolle sie ihm Gelegenheit bieten, selbst zu erkennen, dass er groben Unsinn redete.
Und das tat er. Was hatte sein Vater ihm immer wieder gesagt? Wenn man in einem Kampf nicht bestehen kann, dann sollte man ihm besser aus dem Weg gehen.
»Lass Ekarna und Torgon ihren Kampf austragen«, sagte Zakaan. »Und finde du zu dir selbst. Lass dir dazu all die Zeit, die du brauchst. Und gib deinen Gefährten die Chance, ohne dich zu bestehen.«
Lexz hörte Zakaans Stimme. Aber er war durch das, was von dem Kampf zu ihm hinüberdrang, abgelenkt. Und dabei begriff er seinen Irrtum.
An sein Ohr drangen nicht die Laute eines schnellen Gemetzels, begleitet von Schmerzensschreien oder sogar dem Geräusch berstender Knochen, sondern die eines sich lang hinziehenden Kampfes. Und der fand auch nicht nur an einem Ort statt, sondern zog sich am Bach entlang und entfernte sich dabei von ihm. Wahrscheinlich waren Ekarna und Torgon auf der Flucht und wurden dabei immer wieder angegriffen. Dazu passte auch, dass er zwischendurch nichts weiter hörte als ein fernes Rascheln, dann wieder Kampflaute, hin und wieder ein Wimmern und schließlich das Stampfen von Füßen auf dem Waldboden.
Erneut biss Lexz die Zähne zusammen, stützte die Hände auf – und schaffte es diesmal, sich hochzustemmen. Sein Herz hämmerte wie wild und seine Umgebung vollführte einen wilden Tanz um ihn.
»Sehr gut«, lobte ihn der Schamane. »Jetzt kannst du über deine nächsten Schritte entscheiden.«
Und das im wahrsten Sinne des Wortes, dachte Lexz, denn statt das Gleichgewicht zu halten und die kurze Entfernung zu überwinden, die ihn noch vom Ufer trennte, stand er nur weiter unsicher und schwankend da.
So nicht, dachte er, und stolperte los … bis seine Knie nachgaben und er so schnell in sich zusammensackte, als wäre er niedergeschlagen worden.
»Nur der Dumme verschwendet seine Kraft in unnützen Handlungen«, bemerkte Zakaan überflüssigerweise.
Lexz ballte die rechte Faust so fest er konnte. Es war nicht besonders fest. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm.
»Ich hoffe, du bist nicht dumm«, fuhr der Schamane fort, »und du besinnst dich endlich auf den immer gleichen Rat, den ich dir auch jetzt wieder gebe: Achte auf deinen Atem. Verbinde ihn mit dem Atem der Götter.«
»Ja, aber wie soll ich das denn tun?« Lexz hatte die Worte viel zu laut hervorgestoßen, und nun dämpfte er seine Stimme. »Ich schaffe es doch nicht. Ich habe das noch nie geschafft.«
»Nein«, widersprach ihm der Schamane. »Das stimmt nicht. Du glaubst nur, dass du es noch nie geschafft hast. In Wirklichkeit hast du es sogar immer und immer wieder geschafft. Oder, warum meinst du, überträgt dir dein Vater das Kommando über solche Männer und Frauen wie Torgon und Ekarna?«
Lexz schüttelte den Kopf. So hatte er das noch nie gesehen. Und obwohl er die Worte des Schamanen nicht einfach als zutreffend annehmen konnte, spürte er doch in der Tiefe seines Herzens, dass etwas Wahres daran war.
»Ich lasse gerade meine Freunde im Stich«, murmelte er.
»Weil du dich hast niederschlagen lassen?« Lexz glaubte, jetzt das alte, zerfurchte Gesicht des Schamanen vor sich zu sehen. Und es lag nicht nur Kummer darin, sondern auch Zuversicht. »Nein. So etwas geschieht, und so etwas wird auch immer wieder geschehen. Aber solange du nicht tot bist, geht es immer weiter. Es gibt keinen Tag, an dem nicht eine neue Herausforderung auf dich warten wird, ob im Großen oder Kleinen. Und nur, wenn du es schaffst, diese Herausforderungen auch anzunehmen, wirst du an Stärke gewinnen. Sonst bleibst du ein Hohlkopf.«
Ein Hohlkopf.
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