Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
gedrückt hatten. Sie führten nicht nach vorne und um das Haus herum, sondern zu einem Weg zu ihrer Linken, der sanft anstieg und hinter einer Biegung verschwand. Wenn sie es schaffte, sich einen kleinen Vorsprung zu verschaffen, und wenn sie dort dann so schnell wie möglich hinauflief …
»Nun«, sagte sie, während sie sich dem ungewöhnlichen Hohepriester von Goseg wieder zuwandte. »Ich glaube tatsächlich, dass wir das eine oder andere zu besprechen haben.« Sie machte einen Schritt auf Taru zu, und es musste so viel Entschlossenheit und Abscheu in ihrem Blick funkeln, dass er beinahe wie ein kleiner Junge zurückgewichen wäre, der von seiner Mutter gescholten wird.
»Dieser kleine Aufrührer hier«, sie tippte so schnell auf Tarus Brust, dass er ihre Hand nicht einfangen konnte, »hat sich nicht nur den Anordnungen des Ältestenrates widersetzt. Sondern er hat mich auch noch entführt. Er wollte mich im See versenken.«
»Aha«, machte Amar. Er sah jetzt nicht nur nachdenklich, sondern auch ein wenig ärgerlich aus. »Stimmt das, Taru, der du Dragosz’ Sohn und sein Nachfolger bist?«
»Nun, ich … ich habe bestimmt nicht …« Taru warf Arri einen bösen Blick zu und wandte sich dann mit einer übertriebenen Geste von ihr ab und dem Hohepriester zu. »Nichts dergleichen habe ich getan!«
Amar legte den Kopf schief und wartete offensichtlich darauf, dass sich Dragosz’ Sohn näher erklärte. Dass Taru dies aber nicht tat, überraschte Arri überhaupt nicht. Schließlich hätte es vorausgesetzt, dass ihm auf die Schnelle etwas Geistreiches hätte einfallen müssen.
»Dann sei doch bitte so nett, mir zu erklären, was du sonst getan hast«, bohrte Amar nach.
»Ja, aber ich …«, Taru schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für langwierige Erklärungen«, erklärte er mit erstaunlich fester Stimme.
Amar zog eine Augenbraue hoch. »Und du meinst, das hättest du zu bestimmen, und nicht ich?«
Taru zuckte zusammen. Für einen Augenblick strahlte er einen solchen Zorn und eine solche Angriffslust aus, dass Arri schon glaubte, er werde eine Dummheit begehen.
Wenn sie jedoch erwartete, Amar werde mit Wut darauf reagieren, oder auch in der abscheulichen Art Nors, der seine Gegenüber mit seinen Blicken fast aufgespießt hatte, um seine verkrümmten Hände dann zu heben und sie wie die Krallen eines Raubvogels auf die Lehnen seines aus Korb geflochtenen Stuhles zu schlagen, so sah sie sich getäuscht.
Dagegen stahl sich der lauernde Ausdruck einer Schlange, die auf die passende Gelegenheit zum Zuschnappen wartet, auf das Gesicht des neuen Hohepriesters.
Taru musste das auch bemerkt haben. Aber immerhin brachte er es irgendwie fertig, seinen schlichten Bemerkungen und haltlosen Unterstellungen keine weitere Dummheit hinzuzufügen. Aber weniger gut hatte er seinen Blick und seinen Körper unter Kontrolle.
Er machte einen zaghaften Schritt auf Arri zu, und dann noch einen und noch einen. Dabei lag in seinen Augen ein Flackern, das jede Frau in die Flucht geschlagen hätte. Arri fand, dass ihr im Augenblick gar nichts Besseres passieren konnte, und im Stillen dankte sie Amar dafür, dass er ihr mit seinen beharrlichen Nachfragen unwissentlich zu Hilfe kam.
Sie wich weiter zurück als sie es gemusst hätte, aber auch nicht so weit, dass irgendjemand hätte misstrauisch werden können. Die ganze Zeit über ließ sie Taru nicht aus den Augen. Dass ihre Erregung mit jeder Bewegung zunahm, brauchte sie dabei noch nicht einmal zu überspielen.
Dabei dachte sie jedoch gar nicht an eine mögliche Konfrontation, sondern an den Weg, in den sich die Spuren der beiden Holzkarren eingefressen hatten. Hier, hinter dem Haus, hielt sich nur eine Handvoll Männer auf. Die meisten von ihnen waren damit beschäftigt, die Wagen zu entladen oder die Mahlzeit vorzubereiten, zu der Amar sie eingeladen hatte. Die Einzigen, die sie die ganze Zeit über im Blick hatte, waren Taru und Amar – und Rar, aber der hatte sich schmollend zurückgezogen und sich im Schatten des langen Daches auf dem Boden niedergelassen.
Arri beschloss, das Wagnis einzugehen und ihre letzte Trumpfkarte auszuspielen. »Taru hat genau das getan, was ich gesagt habe«, begann sie. »Aber das aus gutem Grund. Denn es ist mein Sohn Kyrill, der Dragosz’ Nachfolge antreten wird.«
»Dein Sohn?« Amar runzelte die Stirn. »Aber wie soll das geschehen? Er müsste doch noch ein kleines Kind sein.«
»Das ist richtig«,
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