Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
war auch eines dabei gewesen, das ihm wirklich gefallen hatte. Aber niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, sich fest zu binden.
Weil es diese Unbekannte gab, von der ihm Dragosz nicht mehr als ein paar Sätze gesagt hatte.
Je weiter er jetzt dem zunehmend gewundenen Verlauf des Baches folgte, desto mehr verlor sich auch das Gefühl für die Unbekannte. Stattdessen gewann in ihm wieder etwas Altbekanntes die Oberhand: die Angst um seine Gefährten.
Die Spuren waren hier weniger heftig, als sie es noch vor dem See gewesen waren. Ein paar abgerissene Zweige, niedergetrampeltes Gras, zerdrücktes Gebüsch. Und trotzdem begann er sich mit zunehmender Besorgnis zu fragen, was hier eigentlich geschehen sein mochte. Ein Kampf war eine Sache, eine Flucht aber eine andere. Doch das sah hier weder nach dem einen, noch nach dem anderen aus. Oder vielleicht war es erst ein Kampf gewesen, und dann eine Flucht? Aber warum waren dann Ekarna und Torgon nicht in einem Bogen wieder zu ihm zurückgekehrt? Waren sie überhaupt noch am Leben?
Aufgeregtes Vogelgeschrei alarmierte ihn, und wie von selbst zog er seine Waffe und schlich in angespannter Wachsamkeit weiter. Der Pfad wurde breiter, der Boden trockener, und die Pflanzen sahen hier nicht mehr ganz so üppig aus wie eben noch. Das Nächste, was ihm auffiel, war das Laub, das dort lag … und von den Bäumen über ihm herabgeregnet war. Der Herbst schien nicht mehr fern, aber so viel Laub …
Dann stieß er auf den ersten Toten.
Es geschah so plötzlich, dass er zurücksprang und die Waffe nach oben riss. Zuerst hatte er nichts weiter als eine Hand gesehen, die aus einem Gebüsch herausragte. Als er dann jedoch ein Stück näher herantrat, erkannte er auch den Körper des Mannes, der hier niedergestreckt lag.
Seine erste Befürchtung, dass es sich um Torgon handeln könnte, zerstob sofort, als er sah, dass der Mann in Felle gekleidet war. Es war einer der Höhlenmenschen. Lexz hätte sich denken können, dass sie sich durch Ekarna nicht wirklich hatten vertreiben lassen. Sie mussten sie bis zu ihrem Nachtlager verfolgt haben, und dann hatte sie erst ihn niedergeschlagen und …
Ein Vogelschwarm stob auf, ganz nah, und dann glaubte Lexz das Geräusch von Schritten zu hören. Er fuhr herum.
Torgon torkelte zwischen den Bäumen hervor. Er sah fürchterlich aus.
Als wollten die Götter persönlich eingreifen, so verdunkelte sich auf einmal der Himmel. Wolken zogen auf, wie sie Arri noch nie zuvor gesehen hatte: dräuende, schwarzgraue, in sich verwirbelte Ungetüme, die von allen Seiten auf das Tal eindrangen, bis sie es ganz umschlossen hatten. Nur über dem Tal selbst schien der Himmel noch frei, lediglich ein paar lichte weiße Wolken blieben dort so unbeweglich stehen, als ginge direkt über ihnen noch nicht einmal ein laues Lüftchen.
»Da entlang«, sagte Rar mürrisch.
Er wollte Arri in die Richtung schubsen, in die Amar und Taru vorangegangen waren. Aber Arri tauchte unter seiner zupackenden Hand hinweg und machte einen so schnellen Schritt zur Seite, dass die Hand des Schmiedegehilfen einmal mehr ins Leere griff.
Es ging ihr nicht darum, sich mit Rar anzulegen. Sie konnte nur einfach den Himmel nicht aus den Augen lassen. Etwas Merkwürdiges geschah dort. Einzelne graue Finger griffen in den hellen Fleck über dem Tal, griffen gezielt dort hinein. Wie dichter, schwerer Rauch wirbelten Ausläufer der dunklen Wolken heran und drangen in die hellen Flecken hinein. Grau, weiß, schwarz, all das vermischte sich, und dann schoss plötzlich ein Vogelschwarm aus den dunklen Wolken hervor. Als würde er von einem kräftigen Wind nach unten gedrückt, so sauste er herab.
Krähen, dachte Arri, das sind Krähen.
Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihnen. Krähen waren doch schwarz. Und auch in diesem Schwarm gab es pechschwarze Krähen, aber mindestens genauso viele waren eher von hellem Grau als von einem tiefen Schwarz, und hier und da glaubte Arri sogar weiße Streifen auf den schwarzen Flügeln aufblitzen zu sehen.
»Das ist merkwürdig«, murmelte Rar. »Vögel sollten sich nicht so verhalten.«
Arri wusste nicht, was sie mehr verblüffte: das, was sich da über ihnen am Himmel abspielte, oder Rars Bemerkung. Sie hatte ihm bislang nicht einmal zugetraut, auch nur ansatzweise über seinen eigenen Schatten hinausschauen zu können.
Die Krähen stiegen wieder hoch, glitten in einer langgestreckten Kurve über das Langhaus und drehten dann in Richtung See ab. Arri
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