Die Hintertreppe zum Quantensprung
Wechselwirkungen, von denen es in der Welt so sehr wimmelt, dass man sich rasch fragt, ob es die andere Form, die nicht-lokale Wechselwirkung, überhaupt gibt.
Man kann in einigen Bereichen humanen Treibens, wo sich Menschen wenig mit Physik beschäftigen und eher spirituell operieren, von solchen Ferneinflüssen hören: Gebete können bekanntlich Leuten helfen, die räumlich weit weg sind, Voodoo-Priester stecken Nadeln in Puppen und verwunden dadurch angeblich Menschen, die sich an einem entfernten Ort aufhalten – und so soll eine Aktion »hier« für eine Wirkung »dort« zuständig sein, ohne dass sich eine physikalische Wechselwirkung nachweisen oder vermessen ließe.
Nun sollte man meinen, nicht-lokaler Zinnober dieser Art habe nichts mit der strengen Wissenschaft zu tun, aber genau da tauchte Bell auf, der versuchte, mithilfe von lokalen Wechselwirkungen zu verstehen, wie es zum Beispiel zwei Elektronen schaffen, wieder in ihren Ausgangszustand zu gelangen, nachdem sie einmal zusammengestoßen und dabei energetisch angeregt worden waren. Er konzentrierte sich konkret auf eine physikalische Eigenschaft von Elektronen, die zwar einen einfachen Namen trägt, die aber alles andere als einfach ist. Wir kennen das vertrackte Ding schon. Denn Bell meinte den Parameter, den Wolfgang Pauli als vierte Quantenzahl eingeführt hatte und der in den Lehrbüchern als Spin bezeichnet wird. Ohne den Spin lässt sich weder verstehen, wie chemische Bindungen zustande kommen, noch lässt sich erläutern, warum die Gegenstände so viel Platz einnehmen, wie sie es tatsächlich tun.
Wir kennen das Wort »Spin« aus dem Alltag etwa vom Tennis, wenn ein Spieler einem Ball Spin verleiht und wir damit bezeichnen, dass sich das Spielgerät um seine eigene Achse dreht. Beim Spin der Elektronen können wir uns zwar auch anschaulich vorstellen, dass die Elementarteilchen rotieren, aber damit wird nicht die besondere Qualität erfasst, die Spin in der Quantenwelt hat. Sein Erfi nder Pauli versteht unter »Spin« vielmehr die Tatsache, dass Elektronen eine »klassisch unbegreifliche Zweiwertigkeit« besitzen, sie inhärent zweideutig sind. In der Tat beschreibt der Spin die Möglichkeit von Elektronen, einen Quantensprung der besonderen Art zur Verfügung zu haben, über den man sich ruhig wundern kann. Als sich Bell 1964 genauer um den merkwürdigen Spin kümmerte, bemerkte er zum einen, dass sich ein Elektron zweimal (!) um die eigene Achse drehen muss, um wieder zum Ausgangszustand zurückkehren zu können, und er fand zum zweiten keinen Weg, um die Wechselwirkung zwischen zwei derartig »spinnenden« Teilchen lokal erfassen zu können. Wie sollte man sich den genauen Ort dabei auch vorstellen? Denn Elektronen interagieren nur nicht-lokal – über räumliche Distanzen hinweg –, wie Bell bemerkte und was ihn zunächst ratlos machte (und uns jetzt mit). Wie sollte oder konnte das vor sich gehen? Wie sollte oder konnte eine physikalische Wirkung von einem Ort zu einem anderen gelangen, ohne dazwischen Spuren zu hinterlassen?
Die Bell’sche Ungleichung
Die große Leistung, die Bell in den folgenden Jahren vollbrachte, bestand darin, eine Ungleichung zu formulieren, mit deren Hilfe im Experiment geprüft werden kann, ob die Quantensphäre lokal ist – weil sie nur aus lokalen Wechselwirkungen besteht –, oder ob es in ihr nicht-lokal zugeht. Das heißt, man kann in konkreten Situationen nachmessen, ob die sogenannte Bell’sche Ungleichung Bestand hat oder verletzt ist, und wenn sie sich als verletzt erweist, wissen wir, dass die Realität, von der die Physik handelt, nicht-lokal ist. Verrückterweise ist genau dies der Fall. Mit anderen Worten: Dank Bells Beiträge zur Physik können wir nachweisen, dass es in der Quantenwirklichkeit so zugeht, als ob da Voo-doo-Priester zugange sind, die ein bestimmtes Elektron an seinem Ort anstechen, um ein anderes Elektron an einem anderen Ort aufheulen zu lassen; und zwischen den genannten Punkten ereignet sich auf keinen Fall etwas Physikalisches, also etwas, zu dem die Physiker etwas sagen können.
Bells Ungleichung kann mittels einer Idee getestet werden, die unter anderem auf Einstein zurückgeht. Bevor wir darauf eingehen, generell noch eine Bemerkung zu der ungewohnten Konzeption einer Ungleichung: Normalerweise handelt die Physik von Gleichungen – »Kraft gleich Masse mal Beschleunigung« heißt es etwa bei Newton, und von Einstein haben wir E=mc 2 gelernt. Ungleichungen gehören
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