Die Hintertreppe zum Quantensprung
Mathematiker seiner Zeit zu hören. In Göttingen weckten seine Talente die Aufmerksamkeit des berühmten David Hilbert, der Born bald zu seinem Privatassistenten ernannte. Als solcher fiel ihm die Aufgabe zu, eine Mitschrift der Vorlesungen anzufertigen, um sie für den allgemeinen Gebrauch im Lesesaal auszuarbeiten. Es ist anzunehmen, dass Born dabei die Geschicklichkeit zum Schreiben von Lehrbüchern erwarb. Berühmt werden sollte seine Darstellung der elektromagnetischen Lichttheorie, die unter dem Titel Optik zum ersten Mal 1933 erschienen ist und bis heute – in erweiterter Form – aufgelegt wird.
Born fühlte sich aber bald von der reinen Mathematik zur theoretischen Physik hingezogen, und 1915 publizierte er als sein erstes Buch eine Beschreibung der Dynamik von Kristallgittern , die lange Zeit als Bibel der Festkörperphysik diente. Born wurde nun als Extraordinarius nach Berlin berufen, und nach einem Zwischenspiel in Frankfurt am Main kehrte er 1922 als Ordinarius nach Göttingen zurück, wo er mit Geschick dafür sorgte, dass auch James Franck an die ehrwürdige Georg-August-Universität kam. Born und Franck waren zusammen mit dem als Lehrer unvergleichlichen Robert W. Pohl nun in der Lage, Göttingen zum Zentrum der Physik zu machen, und es waren wirklich aufregende Zeiten, die nun auf die Wissenschaftler zukommen sollten.
Dabei entwickelte sich vor allem das von Born geleitete Seminar bald zu einem hot spot der neuen Atomphysik. Ihr verliehen insbesondere zwei junge Burschen, die nacheinander Borns Assistenten wurden, eine besondere Dynamik: Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg. Auch wenn, wie erwähnt, der entscheidende Durchbruch Heisenberg allein gelang, die bis heute tragfähige mathematische Formulierung jedoch verdanken wir Born. Einstein sprach 1926 deshalb von den »Heisenberg-Bornschen Gedanken, die alle Welt in Atem halten«.
Ein Elfenbeinturm für die Wissenschaft
Borns Seminar in Göttingen verdient noch eine besondere Anmerkung, weil dort etwas geschaffen wurde, was zwar von leichtfertigen Kritikern der Wissenschaft unserer Tage verachtet wird, aber trotzdem nötig ist, um geistig voranzukommen. Gemeint ist die Idee eines Elfenbeinturms, in dem sich Forscher zurückziehen – aber nicht, um sich vor der Öffentlichkeit nicht rechtfertigen zu müssen, sondern um den Freiraum zu finden, den ein Umsturz im Denken benötigt.
Zur Erinnerung: Als der Begriff vom Elfenbeinturm (im modernen Sinne) zum ersten Mal verwendet wurde, diente er als Symbol für die selbst gewählte Isolation eines Künstlers bzw. Wissenschaftlers, »der in seiner eigenen Welt (nur seinem Werk) lebt, ohne sich um Gesellschaft und Tagesprobleme zu kümmern« – so lässt es sich zum Beispiel im Brockhaus nachlesen. Dieser Elfenbeinturm ist eine Erfi ndung des 19. Jahrhunderts und geht auf den französischen Schriftsteller und Literaturkritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve zurück, der damit das Werk des Dichters Alfred Comte de Vigny beschrieb. In dessen Texte treten Ausnahmeerscheinungen (Genies) auf, die innerhalb einer verständnislosen, weil materialistisch orientierten Gesellschaft keinen Platz fi nden und sich deshalb in einer eher melancholischen Gestimmtheit von ihr entfernen. Sie ziehen sich in einen Elfenbeinturm zurück, wie Sainte-Beuve es elegant und einprägsam ausgedrückt hat. Er selbst sah auch keinen anderen Weg, auf dem sonst ein dichterisches Werk entstehen konnte.
Einen solchen Elfenbeinturm hat nun Born in Göttingen geschaffen. Er hat sein Seminar als Hafen betrieben, in dem einige intellektuell höchst eigenwillig veranlagte Exemplare der Spezies »Homo scientificus« wie Robert Oppenheimer oder Norbert Wiener anlanden konnten. Mit ihren Schrullen kamen diese Wissenschaftler gesellschaftlich nicht leicht zurecht, aber ihre Ideen wurden dringend benötigt, als die Quantensprünge gebändigt werden mussten und neben dem Methodischen auch das Wahnsinnige seinen Platz beanspruchte. Born hat sie aufgenommen und seine schützende Hand über alles gehalten. Und das Resultat solch eines mit Fürsorge betriebenen Elfenbeinturms ist so überraschend wie eindeutig. Es waren gerade diese Forscher, die sich letztlich nicht der Gesellschaft verweigerten, als sie gebraucht wurden. Nehmen wir Oppenheimer als Beispiel: Sein öffentlicher Ruhm gründet erstens auf seinen Leistungen beim Bau der Atombombe und zweitens auf seinen Einsatz in den Jahren nach 1950, in denen er versucht hat, Dichter wie T.S.
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