Die Hintertreppe zum Quantensprung
Einsicht aller Menschen in die Größe der atomaren Gefährdung« aus. Born gab bei all seinem Nachsinnen nie die Hoffnung auf, dass die Menschen nicht nur zur Kenntnis nehmen, welche Gewalt von der Wissenschaft ausgehen kann, sondern auch (und vielleicht vor allem), welche Qualität in der geliebten Physik steckt: »Die Welt, die so gern bereit ist, die Gaben der Physik als Mittel zur Massenvernichtung zu benutzen, täte besser daran, die Denkmethoden der Physik zu studieren, die zum Ausgleich von scheinbar unauflöslichen Widersprüchen und zur Versöhnung geführt haben.«
Wahrscheinlich gibt es kein Buch, das besser geeignet ist, »die Denkmethoden der Physik zu studieren«, als die Textsammlung von Born, der in jedem seiner Beiträge auf die philosophischen Fragen eingeht, die sich im Rahmen der neuen Physik stellen. Er tut dies stets, ohne den Kontakt zur wissenschaftlich prüfbaren Erkenntnis zu verlieren. Borns Aufsätze sind der »Versuch, auf naturwissenschaftliche Weise zu philosophieren« und »nicht eine Philosophie der Naturwissenschaften«, wie er ausdrücklich zur Einleitung seines Essays schreibt, der sich mit der Verbindung von »Symbol und Wirklichkeit« befasst. Dieses Thema ist in der Physik deshalb relevant geworden, weil ein Atom oder das Licht nur als Gebilde beschrieben werden konnte, das sich sowohl wellenartig als auch teilchenartig verhält. Eine Möglichkeit, diesen Widerspruch aufzulösen, besteht in der Festlegung, dass Atome und Licht nur als Symbole verstanden werden können, was dem Denken die Aufgabe stellt, nach der Wirklichkeit von Symbolen zu fragen. Genau dies unternimmt Born, wenn er Wirklichkeit als etwas versteht, »das hinter den Phänomenen verborgen liegt«.
Bei all seinen philosophischen Bemühungen unterliegt Born nie dem Irrtum, ein Philosoph zu sein. Und weil das so ist, bleiben seine Beiträge – trotz einiger mathematischer Einschübe und Ableitungen – für Laien auch dann lesbar, wenn sie sich dem Thema nähern, für das Born der Nobelpreis für Physik zuerkannt wurde. Es geht dabei um die statistische Deutung der neuen Physik, die einen radikalen Bruch mit den alten Vorstellungen bedeutet: »Die in der klassischen Physik immer anerkannte prinzipielle Determiniertheit der Naturvorgänge muss aufgegeben werden.« Der Grund steckt, wie bereits erwähnt, in den »scheinbar unauflöslichen Widersprüchen«, die »zur Versöhnung« geführt werden müssen. Der Widerspruch ist am besten als Dualismus von Welle und Teilchen bekannt, den Born unter anderem so formuliert: »Zur Beschreibung der Naturvorgänge sind kontinuierliche und diskontinuierliche Elemente notwendig. Das Auftreten der Letzteren (Quantensprünge) ist nur statistisch bedingt; die Wahrscheinlichkeit des Auftretens aber breitet sich kontinuierlich nach Art von Wellen aus, die Gesetzen ähnlicher Art gehorchen wie die Kausalgesetze der klassischen Physik.«
Zwar hat sich heute die statistische Deutung weitgehend durchgesetzt – sogar mit der Konsequenz, dass sich im Innersten der Welt keine Wirklichkeit, sondern primäre Möglichkeiten befinden. Aber Born musste sich als Pionier der neuen Weltsicht mit vielen Kritikern auseinandersetzen, die meinten, dass die Quantentheorie nur etwas Vorübergehendes sei und bald durch eine bessere Physik abgelöst würde, die wieder eine traditionelle Kausalität mit sich bringt und alles erneut in einen deterministischen Rahmen spannt. Ihnen antwortet Born: »Scheint also die neue Theorie in der Erfahrung wohlfundiert, so kann man doch die Frage aufstellen, ob sie nicht in Zukunft durch Ausbau oder Verfeinerung wieder deterministisch gemacht werden kann. Hierzu ist zu sagen: Es lässt sich mathematisch zeigen, dass der anerkannte Formalismus der Quantenmechanik keine solche Ergänzung erlaubt. Will man also an der Hoffnung festhalten, dass der Determinismus einmal wiederkehren wird, so muss man die jetzt bestehende Theorie für inhaltlich falsch halten; bestimmte Aussagen dieser Theorie müssten experimentell widerlegbar sein. Der Determinist sollte also nicht protestieren, sondern experimentieren, um die Anhänger der statistischen Theorie zu bekehren.«
In diesen Sätzen zeigt sich der Physiker Born, der von der Qualität seiner Wissenschaft überzeugt ist und leidenschaftlich für sie kämpft, indem er jede Gelegenheit nutzt, um zu zeigen, was sie kann. Der selbstlose Born erkennt ohne Neid die Überlegenheit Einsteins an und bemüht sich in seinen
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