Die Hintertreppe zum Quantensprung
Niels anzudeuten, dass man grundsätzlich Atombomben machen könne.« Punkt. Wie außer mit blankem Entsetzen konnte Bohr darauf reagieren? Dieser wusste doch, wie ehrgeizig und genial zugleich Heisenberg war, und das konnte in Bohrs Sicht nur heißen, dass seinen berühmtesten deutschen Schüler weder wissenschaftliche noch andere Schwierigkeiten hindern würden, den Weg bis zum explosiven Ende zu gehen. Viel schlimmer noch: Heisenberg würde sich sicherlich besonders darum bemühen, vor allen anderen Physikern ans Ziel zu kommen.
Bohr scheint jedenfalls leichenblass und höchst beunruhigt von dem Gespräch nach Hause zurückgekehrt zu sein, das aus Angst vor der Gestapo bei einem Spaziergang entlang der Langen Linie im Kopenhagener Hafen geführt worden war. Als historische Tatsache lässt sich festhalten, dass es nun nicht mehr lange dauern sollte, bis Bohr aus seiner Heimat fliehen und in den USA das Programm in Gang gebracht werden sollte, tatsächlich eine Atombombe zu konstruieren, und zwar noch bevor sie den Nazis zur Verfügung stünde.
»Ordnung der Wirklichkeit«
Um Heisenberg wird es jetzt einsam. Einem 1942 geschriebenen Text, der zunächst nur an ausgewählte Freunde verschickt und erst ein halbes Jahrhundert später unter dem Titel Ordnung der Wirklichkeit publiziert wurde, merkt man die tiefe Trauer an, die Heisenberg befallen hat und den Unpolitischen niederdrückt. Er hatte »sein Leben für die Aufgabe bestimmt, einzelnen Zusammenhängen der Natur nachzugehen«, und ihm war das »Forschen nach einzelnen Naturgesetzen ein unendlich spannendes Spiel« gewesen, das ihn auch deshalb glücklich gemacht hatte, weil er die Spielabläufe besser als alle anderen vorhersehen konnte: Heisenberg hat eine erste Quantentheorie des Ferromagnetismus entworfen, das erste Proton-Neutron-Modell für einen Atomkern vorgeschlagen, eine erste Theorie des Positrons vorgelegt, als Erster den sogenannten Isospin eingeführt und so weiter und so fort.
Doch Wissen hat auch moralische Konsequenzen. Kluge Forscher wie er hatten nun die Möglichkeit, mit rationalen wissenschaftlichen Methoden eine Atombombe zu bauen, die dann gegen Menschen eingesetzt werden konnte. Heisenberg spürte, dass den Menschen »die stärkste Gefahr von der Verwechslung der bösen und guten Mächte« drohte. Das Bedrohliche dieser neuen Situation rührte seiner Meinung nach daher, dass die politische Macht, die das Zusammenleben der Menschen organisiert, oft genug »durch Verbrechen begründet« wird. So zumindest äußert er sich 1942 in Ordnung der Wirklichkeit , ungeachtet der damit verbundenen Gefahr, solche Aussagen in solcher Zeit zu tun. Außerdem spricht er die Hoffnung aus, dass sich trotz aller Widrigkeiten der zentrale Bereich der Wissenschaft fi nden lässt, in dem »nicht betrogen werden kann « und die Menschen nicht selbst zu entscheiden haben, sondern Gott. Nur dann »ist wohl auch die Gefahr nicht allzu groß, die dadurch heraufbeschworen wird, dass wir die Kräfte der Natur in viel höherem Maße beherrschen als frühere Zeiten«.
Über das Atom hinaus
Nach dem Zweiten Weltkrieg verläuft Heisenbergs Leben in ruhigeren Bahnen. Sein früher Traum, den revolutionären Sprung, der beim Übergang von der Welt der sichtbaren Dimensionen in die Welt atomarer Größenordnungen – also zu den Kernkräften – nötig wurde, wiederholen zu können, erfüllte sich nicht. Auch als er seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge richtet und das verbindende Element zwischen einer Theorie der Atome und einer Theorie des Kosmos sucht, gelingt kein Wurf, der sich mit den Erfolgen seiner Jugend messen kann. Das angehende Medienzeitalter verulkt eher ungläubig sein Konzept einer »Weltformel«.
Heisenberg übernimmt politische Verpfl ichtungen wie den Vorsitz der Kommission für Atomphysik, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichtet wird. Er tritt öffentlich in Erscheinung, so 1957, als die »Göttinger Sieben« sich in einer Erklärung gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wenden. Er nimmt sich aber vor allem Zeit, um sich allgemeinverständlich über seine Wissenschaft zu äußern, und dabei entstehen so wunderbare Texte, dass man sich ein knappes Jahrzehnt nach seinem Tod im Jahre 1976 entschließt, sie als Gesammelte Werke herauszugeben. Heisenberg ist zum ersten Klassiker der modernen Physik geworden.
In einem seiner schönsten Texte geht es um Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik . Darin macht er
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