Die Hintertreppe zum Quantensprung
dringender brauchten als er oder dass er seine Mitarbeiter nicht im Stich lassen wollte, vor allem aber die, dass er sich um seine rasch wachsende Familie kümmern musste. Sie gab es seit 1937, als Heisenberg Elisabeth Schumacher geheiratet hatte (1980 veröffentlichte sie eine Biografie ihres Mannes mit dem Titel Das politische Leben eines Unpolitischen und charakterisierte ihn auf diese Weise treffend). Was die Familie angeht, bekam das Paar sieben Kinder. Heisenberg konnte sich ein glückliches Familienleben nur in Deutschland vorstellen. In seinen geliebten bayerischen Bergen, in Urfeld am Walchensee, hatte er für sie den Ort gefunden, den er für den schönsten der Welt hielt.
Zum Thema Drittes Reich gibt es aber nicht nur klärende, sondern leider auch viele ungeschickte Bemerkungen von Heisenberg, die vor allem im europäischen Ausland für Unverständnis gesorgt haben. Heisenberg scheint bei einem Vortrag in den Niederlanden die anfänglichen deutschen Kriegserfolge mit dem Hinweis kommentiert zu haben, es komme ihm nicht wie eine Katastrophe vor, wenn es ein Europa gäbe, das unter deutscher Vorherrschaft stünde. Natürlich hat Heisenberg dabei nicht an die braune Barbarei gedacht, aber die Menschen, die in den von den deutschen Truppen besetzten Ländern lebten, konnten über solche Äußerungen nur verbittert oder verärgert sein.
Das eigentliche Drama unter den Wissenschaftlern und besonders zwischen Bohr und Heisenberg entfaltete sich, als im Jahre 1938 die Kernspaltung entdeckt worden war und den Physikern rasch klar wurde, dass man Kernreaktoren und Atombomben bauen konnte. Wenngleich sich bald zeigte, dass sich mit dem Uran, das in der Natur vorkommt, keine Atombomben konstruieren ließen, so hat jedoch die Frage, ob und wie sich die reaktions- und explosionsfähige Variante des Urans (das Isotop mit der Ordnungszahl 235) herstellen bzw. anreichern lässt, in den ersten Kriegsjahren sicher auch einige deutsche Physiker beschäftigt. Das Rätsel, welche Rolle Heisenberg dabei gespielt haben mag und welche Strategie er insgesamt in Hinblick auf eine Atombombe in seinem Kopf verfolgt hat, treibt noch heute viele Historiker zur Verzweiflung. Wollte Heisenberg die Bombe nicht bauen oder konnte er sie nicht bauen? Hat er zu verhindern versucht, dass man sie baut? Wie genau und intensiv hat er sich um die Physik der Kettenreaktion gekümmert, die für eine Atombombenexplosion notwendig ist? Die Zahl der Bücher und Aufsätze zu diesem Thema ist schon groß, und sie wird weiter wachsen.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht dabei ein sehr merkwürdiges Gespräch, das zwischen Bohr und Heisenberg im Herbst 1941 stattfand, als Heisenberg nach langer Abwesenheit mitten im Krieg wieder in Kopenhagen auftauchte. Aus welchem Grund ist er überhaupt nach Dänemark gefahren? Wer hat ihm die Reiseerlaubnis in das von deutschen Truppen besetzte Gebiet erteilt? Und wem musste er nach der Rückkehr über seine Gespräche berichten? Über dem Ausflug nach Dänemark liegt ein dichter Nebel, der sich mit den derzeitigen Dokumenten nicht vertreiben lässt und politisch denkenden Menschen viel Raum gibt, ihrer Fantasie freies Spiel zu lassen. Unklar bleibt vor allem die Rolle, die Carl Friedrich von Weizsäcker als junger Mann aus prominenter Familie im Hintergrund gespielt hat. Es ist bekannt, dass er in aller Naivität meinte, den »Führer« führen zu können, wenn man ihm erklären würde, was eine Atombombe kann. Natürlich lässt sich heute darüber nur entsetzt lachen, aber ebenso naiv scheint Heisenberg in diesen Dingen gewesen zu sein, und niemand weiß, was der Diplomatensohn von Weizsäcker ihm in dieser Lage geraten hat.
Bedauerlicherweise hat Heisenberg selbst in seinen späteren Erklärungen nur versucht, sich irgendwie aus der Sache zu winden. Er macht es sich sehr leicht, wenn er berichtet, zunächst eher überraschend von der deutschen Botschaft zu einem Vortrag eingeladen worden zu sein – eine Einladung, bei der er aber nicht die Gelegenheit hat verstreichen lassen wollen, »mit Niels über das Uranproblem zu sprechen«, wie es in der Autobiografie heißt. Rechnete der inzwischen 40-jährige Heisenberg wirklich immer noch damit, beim Vater der Atomphysik wie ein Sohn Gehör und Verständnis zu finden, wo doch Bohrs Land von deutschen Soldaten besetzt und dessen Familie in höchster Gefahr schwebte?
Das Gespräch beginnt selbst in Heisenbergs Erinnerungen auf fatale Weise: »Ich versuchte
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