Die Hintertreppe zum Quantensprung
deutlich, was eingangs erwähnt worden ist, dass nämlich in der Quantentheorie »der Begriff der Möglichkeit, der in der Philosophie des Aristoteles eine so entscheidende Rolle gespielt hat, wieder an eine zentrale Stelle gerückt worden ist«. Heisenberg betont, dass man »die mathematischen Gesetze der Quantentheorie geradezu als eine quantitative Fassung dieses aristotelischen Begriffs der ›Dynamis‹ oder ›Potentia‹ auffassen« könne. Da ist sie wieder, die zentrale Stelle, der Kern der wissenschaftlichen Wahrheit, den Heisenberg sein Leben lang umkreist hat. Er hat ihn als Hort der Möglichkeit schlechthin sicher gekannt und erlebt, auch wenn er bei der Suche nach ihm manchmal ein wenig zu viel erreichen wollte. Ihm standen dabei jedenfalls mehr Optionen offen, als den meisten von uns. Wenigstens für Augenblicke müssen ihn diese Momente der Erkenntnisnähe glücklich gemacht haben.
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Enrico Fermi (1901–1954)
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Schwache Wechselwirkungen und starke Fragen
Enrico Fermi, Sohn eines Eisenbahnangestellten und einer Grundschullehrerin, wurde 1901 in Rom geboren. Schon früh zeigte sich seine Begabung für die Wissenschaft, sodass er ein Studium der Physik in Pisa aufnahm, das er bis 1922 absolvierte, um anschließend als junger Doktor der Naturwissenschaften nach Göttingen zu gehen. Ein Jahr lang nahm er an den Seminaren von Max Born teil (dabei ist anzumerken, dass Fermi zwar gut genug Deutsch sprach, um ausreichend Kontakte in der Physikerszene zu knüpfen, sich aber insgesamt als schüchtern zeigte). Nach einem Aufenthalt in Holland kehrte Fermi sodann in seine Heimat Italien zurück, um erst Professor in Florenz und dann in Rom zu werden. Man zeigte sich stolz auf ihn und gab dem theoretischen Physiker Fermi als Erstem seines Landes eine akademische Dauerstellung. In politisch ruhigeren Zeiten wäre er wohl auf dieser Position bis zu seinem Lebensende geblieben, aber seine Frau Laura bekannte sich zur jüdischen Religion, und das wurde in Italien ein Problem, nachdem sich die faschistische Regierung unter dem Duce Mussolini 1936 mit Hitlers Nazi-Deutschland verbündet hatte. Fermis Plan, in die USA auszuwandern, konnte in die Tat umgesetzt werden, als man ihm im Voraus die Nachricht zukommen ließ, er würde mit dem Nobelpreis für Physik für das Jahr 1938 ausgezeichnet – in der Geschichte des Nobelpreises ein einmaliger Vorgang, der unter aktiver Beteiligung von Niels Bohr zustande kam. Verdient hatte Fermi die Auszeichnung auf jeden Fall, wie noch erläutert wird. Trotzdem sei an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt, dass die Schwedische Akademie für die Ehrung leider einen Grund angab, den man unglücklich nennen muss. Warum? Auch das soll später geklärt werden. Wichtig war nur, ihn in dem genannten Jahr dafür auszuwählen, um ihm auf diese Weise die fi nanziellen Mittel für einen Neuanfang in den USA zukommen lassen zu können. Mit dem Nobelgeld ging Fermi nach Chicago, wo er einen Lehrstuhl für Physik erhielt und nach einem Zwischenspiel, das mit dem Bau der Atombombe zusammenhing, erneut auflebte, bis ihn 1954 plötzlich und unerwartet ein allzu früher Tod ereilte. Fermi erlag einem Magenkarzinom.
Theoretische Kernphysik zum Ersten
Es gibt viele Gründe, weshalb Fermi berühmt ist bzw. berühmt sein sollte. Wenn es allein um Physik geht, dauert es nicht lange, bis auf seine Beiträge zur Kernphysik hingewiesen wird, und da gibt es als Beweis seiner Vielseitigkeit neben einem fundamentalen Beitrag des Theoretikers Fermi auch die bemerkenswerte Leistung des praktischen Ingenieurs, der Fermi auch war. Beginnen wir mit der reinen Wissenschaft, die sich Anfang der 1930er-Jahre über einen Zerfall von Atomen den Kopf zerbrach, den Ernest Rutherford entdeckt und mit dem griechischen Buchstaben beta bezeichnet hatte. Bei diesem Betazerfall kamen Elektronen aus dem Atomkern, was viele Rätsel aufgab, die wenigstens teilweise durch eine geniale Idee von Fermi geklärt werden konnten.
Als Fermi über den Betazerfall nachdachte, kannten die Physiker zwei Wechselwirkungen, die durch Massen als Schwerkraft (Gravitation) und durch positive und negative Ladungen als elektromagnetische Kraft in Erscheinung traten. Sie vermuteten, dass es noch eine dritte Kraft geben müsse, die im Atomkern für den Zusammenhalt der dort versammelten positiven Ladungen sorgt – sie heißt heute »starke Kernkraft« bzw. »starke Wechselwirkung«. Und dann war erst einmal Schluss mit der Aufzählung. Fermi sah,
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