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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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lenken und sie ebenfalls so zu spalten, dass wiederum Neutronen erscheinen, und wenn sich dieser Vorgang zu guter Letzt auch noch ständig wiederholen ließe, dann könnte sich dieser Prozess lawinenartig fortsetzen und als Kettenreaktion zuletzt ungeheure Energiemengen freisetzen. Denn in jedem Einzelfall wird Energie produziert, wie man seit Hahns Experimenten wusste und nachgemessen hatte. Die Kettenreaktion kommt in Gang, wenn genügend Uranatome versammelt sind und alle Neutronen sofort neue Neutronen freisetzen. Man redet dann davon, dass der Reaktor, in dem das Material versammelt ist, »kritisch« wird.
    Um sich ein Bild von einer Kettenreaktion zu machen, stellt man sich am besten ein Zimmer mit Mausefallen vor, auf denen jeweils zwei Tischtennisbälle liegen, die in den Raum hineingeschleudert werden, sobald die Falle ausgelöst wird. Wenn jetzt ein Ball in das Zimmer geworfen wird und auf eine andere Mausefalle trifft, schlägt diese zu und schleudert wiederum zwei Bälle in die Luft. Die treffen dann auf zwei weitere Mausefallen, die insgesamt vier Bälle durch die Gegend jagen und so weiter und so fort.
    Szilard half Fermi im Winter 1942 tatkräftig, eine solche Kettenreaktion in Gang zu setzen, und mit ihr war der Weg gewiesen, wie eine Atombombe gebaut werden konnte. Gegen die Geheimhaltung, die den beiden Physikern im Anschluss an ihre erfolgreiche kontrollierte Kettenreaktion auferlegt wurde, wehrte sich der Ungar Szilard vehement, wenngleich er später neben anderen Physikern auch den Franck-Report unterzeichnete. Fermi hingegen erinnerte sich wohl an die zwei europäischen Machthaber, die ihn vertrieben hatten, und dachte weniger politisch als praktisch: Er zog mit seiner Familie im Sommer 1944 nach Los Alamos in New Mexico, um dort zu dem heute legendären Manhattan-Projekt beizutragen, das unter der Leitung von Robert Oppenheimer die Entwicklung von Kernwaffen vorantrieb, die Bomben tatsächlich konstruierte und sie einsatzfähig bei der Regierung ablieferte. Als 1945 eine erste Testexplosion durchgeführt werden sollte, zeigte der gleichermaßen pfi ffige wie umtriebige Fermi seinen vielfach gelobten Sinn für einfache Methoden. Um den Druck der zu erwartenden Schockwelle abschätzen zu können, verteilte er Papierschnitzel auf dem Boden und beobachtete bzw. registrierte, wie hoch und weit weg sie geweht wurden. Wie sich herausstellte, kam er mit diesem schlichten und preiswerten Verfahren dem Ergebnis der komplizierteren und teuren offiziellen Messung ziemlich nahe, welches erst eine Woche später verkündet wurde.
Theoretische Kernphysik zum Zweiten
    Mit der Physik der Atomkerne hat sich Fermi schon früh beschäftigt. Bereits in den frühen 1930er-Jahren versuchte er nicht nur den natürlichen Betazerfall zu verstehen, sondern erkundete auch, was bei künstlichen Umwandlungen passiert, also dann, wenn Neutronen auf Uran treffen und es verändern. Ihm war dabei – noch vor der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann – völlig klar, dass die Neutronen nur von einem Urankern eingefangen werden und dabei größere Elemente entstehen, für die er den Namen »Transurane« prägte. Fermi kam gar nicht auf andere Gedanken. Zwar ist heute bekannt, dass es solche schweren Elemente tatsächlich gibt – eins ist sogar nach ihm Fermium benannt –, aber damals gab es dafür keinerlei experimentelle Befunde. Somit können Fermis Deutungsversuche der vielfach durchgeführten Neutronenexperimente im Rückblick nur als riskante Spekulationen ohne Beleg bewertet werden, und sie sind schlicht und einfach falsch, um es ohne Umschweife zu sagen. Dass er ausgerechnet dafür den Nobelpreis bekommen hat, zeigt zum einen die Lernfähigkeit der Wissenschaft und zum anderen, dass die damalige Eile kein guter Ratgeber war, selbst wenn sie aus humanitären Gründen dringend geboten war.
    Fermi hat ganz sicher genügend wunderbare Beiträge zur Physik geliefert, um die schwedische Auszeichnung zu verdienen. Hier sei nur die oben erläuterte schwache Wechselwirkung erwähnt. Darüber hinaus verdanken wir ihm die merkwürdige Einsicht, dass Neutronen dann besser in der Lage sind, die von ihnen getroffenen Kerne umzuwandeln, wenn sie – nein, nicht beschleunigt, sondern – abgebremst werden. Und er erkannte auch, dass das von Wolfgang Pauli formulierte Prinzip der Ausschließung für die davon betroffenen Teilchen festlegte, wie sie in Atomen, Molekülen oder Festkörpern verteilt sind bzw.

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