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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Gott, dann können Sie das alles - auswendig?« Er starrte sie mit offenem Mund an.
     
    »- Dass ihm sogleich verströmte das dunkelnde Blut aus der Wunde -«,
     
    bestätigte sie und stieß ihm den Dolch in den Hals.
    »Nehmen Sie einen schulterbreiten Stand ein. Führen Sie die Hanteln langsam mit gestrecktem Arm nach oben bis Schulterhöhe, dann wieder langsam senken. Zwanzigmal wiederholen. Wechsel. Achten Sie darauf, dass während der ganzen Übung der Rücken gerade und die Knie leicht gebeugt bleiben!«
    Franz legte das Buch auf den Tisch, bückte sich und ergriff die beiden Hanteln, die er bei Karstadt Sport gekauft
hatte. Obwohl die Anleitung empfahl, sämtliche Übungen vor dem Spiegel durchzuführen - angeblich um Haltungsfehler zu korrigieren -, hatte er alles, was geeignet war, ihm sein entwürdigendes Treiben vor Augen zu führen, aus dem Wohnzimmer verbannt. Den Fernseher hatte er mit dem Bildschirm zur Wand gedreht, und sogar seine geliebte Grafik von Penck hatte er abgehängt, weil der Glasrahmen zu sehr spiegelte. Lieber hätte er sich die Augen ausgekratzt als mitanzusehen, wie er in schwarzem T-Shirt und Boxershorts dastand und seinen fünfundfünfzig Jahre lang verschonten Körper sinnlos schindete.
    Heben. Senken. Heben. Senken. Ausatmen. Einatmen.
    Er war nie beim Militär gewesen. Nicht, weil er Pazifist war, sondern weil er dieses tumbe Und-eins-und-zwei nicht ertragen konnte. Nie hätte er geglaubt, dass er eines Tages die Verlängerung des Kasernenhofs mit anderen Mitteln betreiben würde.
    Beugen. Strecken. Beugen. Strecken. Rechts. Links. Rechts. Links.
    Er hasste es. Mit jedem Tropfen seines Schweißes, mit jeder Faser seiner Muskeln hasste er es. Aber was blieb ihm anderes übrig, solange sich die Strizzis und Schnösel zu Rambos trainierten und die Dame seines Herzens sich mit Strizzis und Schnöseln einließ.
     
    Einen irren Moment lang hatte er geglaubt, ihr doch noch zu entkommen. Auf allen vieren war er bis in die Mitte des Wohnzimmers gekrochen, dann war sie aus der Küche zurückgekehrt.
    »Was?«, schrie sie. »Was? Jetzt stirb doch endlich!«
    Er drehte ihr sein Gesicht zu. Sein Bart war schwarz vor Blut. Plóp-plop-plop, plóp-plop-plop - tropfte es auf den Boden. In seinen blutblinden Augen stand nur noch eine einzige Frage: Warum?
    Statt einer Antwort holte sie aus. Er hatte keine Kraft mehr,
sich wegzudrehen, sich einzurollen, die geringste Geste des Überlebenswillens war ihm zu viel. Er ließ sich einfach auf den Bauch fallen. Sollte sie ihn stechen, wohin sie wollte. Ihr Messer konnte ohnehin keine Stelle mehr finden, an der es nicht zuvor schon gewesen wäre.
    Es gurgelte in seinen Eingeweiden, als ihm der Dolch erneut zwischen die Schulterblätter fuhr.
    »Was ist los mit dir«, keuchte sie, »willst du deine blutige Seele denn niemals aushauchen?« Sie drehte die Klinge in seinem Rücken, zog sie heraus und stieß sie tiefer in sein Kreuz. Sie konnte nicht mehr sagen, wie oft sie schon zugestochen hatte. Am Anfang hatte sie noch mitgezählt, aber dann hatte sich der Alte erstaunlich gewehrt, und sie hatte schneller zustechen müssen. Zum ersten Mal in ihrem Leben schwitzte sie. Es war ein komisches Gefühl. Wie wenn der ganze Körper weinte. Sie biss die Zähne aufeinander.
    Pallas Athene, die ruhmvolle Göttin, will ich besingen -
    Endlich hatte sie seine Leber getroffen. Schwarz floss es ihr entgegen. Ihre Arme schmerzten. Inzwischen musste sie beide Hände zu Hilfe nehmen, um das Messer wieder aus seinem Rücken herauszubekommen. Sein Fleisch hielt die Klinge fest, als könne es damit weitere Stiche verhindern. Sie zerrte und riss. Außer ihrem Keuchen und dem Schmatzen der Wunden, wenn sie den Stahl doch wieder hergeben mussten, wurde es allmählich still. Seine Eingeweide hatten ausgegurgelt. Stumm hingen sie auf das Parkett.
    Sie erhob sich. Mit triefender Hand wischte sie sich über die Stirn. Zwei Schweißtropfen lösten sich und zogen helle Spuren in den Blutfilm, der auf ihren Wangen zu trocken begann. Die Vase war umgekippt, die weißen Lilien lagen über den Boden verstreut.
    »Ageleie ist kein Blumenname, du Dummkopf«, sagte sie leise. »Ageleie heißt Beutemacherin.«

    Fünfzehn - sechzehn - siebzehn -
    Kyra würde ihn ansehen. Kyra würde auf ihn zukommen. Schlank, groß, schön. »Franz«, würde sie sagen, »Franz, meine Güte, schaust du gut aus.« Und würde ihn anfassen. - achtzehn - neunzehn - zwanzig -
    Alles durfte sie mit ihm machen. Was

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