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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Aber jetzt, da wollen die Augen nicht mehr so recht.« Er hob resigniert die Hände. »Sie müssen wissen, ich war Bibliothekar. Fast vierzig Jahre lang. Mein ganzes Leben habe ich zwischen staubigen Regalen verbracht.« Er seufzte. »Als ich in Rente gegangen bin, habe ich zuerst gedacht, was für ein Glück, nie wieder diese muffige alte Bibliotheksluft atmen, aber dann«, er sah sie kurz an, »- Sie werden mich jetzt bestimmt auslachen - dann habe ich gemerkt, wie sehr mir meine Bücher fehlten. Und vor ein paar Jahren ergab sich eine günstige Gelegenheit, die Privatbibliothek aus einem Nachlass zu kaufen. Daher stammen die meisten Bücher, die Sie hier sehen. Im ganzen Haus sind es fast viertausend Bände. Und jeder Einzelne ist ganz genau erfasst. Sehen Sie die Katalogkästen dort drüben? Meine Bücher sind für mich wie - wie Kinder.« Er ließ seinen Blick liebevoll an den Wänden entlangwandern, an denen die Bücher - zumeist alte, gebundene Exemplare - in dicht geschlossenen Reihen bis zur Decke hinauf standen.
    »Das ist gut. Das ist sehr gut, dass Sie so ein belesener Mann sind«, sagte sie ernst.
    Er sah sie erfreut an. »Dann sind Sie auch eine Bücherfreundin? Das findet man unter den jungen Menschen nicht mehr oft heutzutage.«
    »Lesen ist für mich das Allerwichtigste«, sagte sie ohne jegliche Ironie. »Seit ich vier bin, lese ich jeden Tag ein Buch.«
    »Das ist nicht nett von Ihnen.« Er drohte ihr mit einem knotigen Zeigefinger. »Sie nehmen einen alten Mann auf den Arm.«
    »Nein.« Sie blickte ihn aus ihren klaren, farblosen Augen an. »Mein Vater hat immer zu mir gesagt: › Mein Kind, lies jeden Tag ein Buch, das ist das Beste, was du für deine Gesundheit tun kannst ‹ .«
    Er lachte. »Da hat er Recht gehabt, Ihr Vater. Er muss ein weiser Mann sein.«
    »Ja«, sagte sie mit fester Stimme, »das ist er.« Der Keks in ihrer Hand zerbrach. Sie warf die Stücke in ihren Kaffee.
    Der alte Homberg hob seine Tasse an den Mund und schlürfte zwei kleine Schlucke. Es gab ein feines Klirren, als er die Tasse wieder zurückstellte. Er fasste sich an die Stirn. »Ich alter Holzklotz. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Gott, wie unhöflich. - Ich heiße Homberg. Kurt Homberg.« Er schaute sie neugierig an, als sie nichts sagte. »Wollen Sie mir nicht auch verraten, wie Sie heißen?«
    Sie legte den Kopf schief und überlegte eine Sekunde. »Ageleie. Ich heiße Ageleie.«
    »Ein schöner Name. Ich hatte mal eine Kollegin, die hieß so. Angelike Steinbrenner.«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht Angelike. Ageleie.«
    »Ah so.« Er nickte. »Auch ein schöner Name. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals gehört zu haben. Ist es hebräisch?«
    Sie lachte. »Nein. Griechisch. Genau genommen homerisch.«
    »Ach ja? Homer? Das ist interessant. Irgendwo da oben muss ich die alte Tempel-Ausgabe von der »Ilias« haben. Griechisch / deutsch. Soll ich sie Ihnen zeigen?«
    Bevor sie etwas antworten konnte, hatte sich der alte Mann aus seinem Sessel gequält und schlurfte zu den Karteikästen. »Warten Sie.« Routiniert krochen seine Finger über die Karten. »Hombrecht, Homburg, Homer. Hier haben wir es. Homer,
› Ilias ‹ , Ant 193. - › Ant ‹ steht für Antike«, erklärte er ihr über die Schulter. »Ich habe alle meine Bücher erst nach Gebieten sortiert und dann nummeriert.« Mit der Karte in der Hand drehte er sich zu den Regalen um. »Ja, es ist tatsächlich dort oben links.«
    Er blickte erst zu der Leiter und dann zu ihr, die noch immer auf dem Kanapee saß. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie bäte, das Buch herunterzuholen? Sie werden verstehen, dass ich mich heute nicht mehr ganz sicher auf den Beinen fühle. - Seien Sie vorsichtig«, ermahnte er sie, als sie begann, im langen weißen Leinenkleid die Sprossen hinaufzusteigen. Er stellte sich unter die Leiter. »Nicht, dass Sie mir jetzt stürzen.«
    Zwei welke Hände legten sich um ihre Knöchel.
     
    Franz blickte stur nach vorn. Er wollte die Schaufenster nicht sehen. Weder das, was darin lag, noch die, die davorstanden, und am allerwenigsten sich selbst. Ginge es nach ihm, dürften Läden nur entspiegelte Schaufensterscheiben einsetzen, denn so konnte man keine einzige Einkaufsmeile zurücklegen, ohne dem ständigen Terror des Seitenblicks unterworfen zu sein. Aber sicher hatten Konsumstrategen herausgefunden, dass sich der Mensch noch immer am besten mit sich selbst locken ließ, und hatten deshalb den

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