Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
sie nur wollte. Wenn sie nur wollte. - einundzwanzig - zweiundzwanzig - dreiundzwanzig -
Er würde schön und stark sein. Sie würde schön und stark sein. Alles würde schön und stark sein.
Sein linker Arm begann zu zittern. - vierundzwanz - fünfundzw - sechsund -
Ohne sich in einem Spiegel zu sehen, wusste Franz, wie rot sein Gesicht war. Hässlicher als jeder Truthahn. Er war eine Witzfigur. Eine Witzfigur, die gerade dabei war, sich zu einer noch größeren Witzfigur zu machen.
Die Hanteln krachten auf den Boden.
»Alles hast du kaputtgemacht«, sagte sie traurig. »Alles.«
Kurt Homberg schaute sie aus der flachen Silberschale, in die sie seinen Kopf gesetzt hatte, entgeistert an.
Sie hatte keine Lust zu tanzen, so wie sie für Robert Konrad getanzt hatte. Der Zeitungsmann war leichte Beute gewesen. Ganz brav hatte er sich in seinem Wohnzimmer auf den Couchtisch gelegt und die Augen geschlossen, als sie ihm gesagt hatte, es gäbe eine Überraschung. Sie hatte nur einen einzigen Schnitt machen müssen. Glatt und sauber. Die leichte Beute hatte ihren Sinn leicht gemacht. Aber jetzt ging es ihr gar nicht gut.
Sie setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der »Ilias«, die sie aus der Wohnung des Bibliothekars mitgenommen hatte. Die meisten Seiten waren blutverklebt. Schade, es war eine schöne Ausgabe, die sie noch nicht besaß. Sie schlug das Buch zu und schob es neben die Silberschüssel.
Ihre Kopfhaut brannte wie schon lange nicht mehr. Sie
streifte sich die dunkelblaue Baskenmütze ab, die sie an Hombergs Garderobe gefunden hatte, und kratzte sich. Sie schnupperte. Die Mütze stank nach Mottenpulver. Angeekelt ließ sie sie fallen. Dann überlegte sie es sich anders, hob sie wieder auf und stülpte sie Homberg über die Glatze. Eine kleine Sekunde musste sie lächeln, doch die Trübsal kehrte gleich wieder zurück. Sie stützte das Kinn in beide Hände und schaute ihn an.
»Alles hätte so schön werden können«, sagte sie. »Wir hätten noch einen schönen Abend verbracht, du hättest mir noch ein wenig von deinen Büchern erzählt, ich hätte dir weiter vorgelesen, und dann, wenn der richtige Augenblick gekommen wäre, hätte ich dir ganz sanft die Kehle durchschnitten. Von hinten. Du hättest gar nichts gemerkt«, fügte sie leiser hinzu. Sie begann zu weinen. Immer schneller stiegen die Schluchzer aus ihrer Brust.
»Warum hattest du so heißes Blut? Warum konntest du dich nicht beherrschen?« Sie fasste ihn an beiden Ohren und schüttelte ihn. Die Baskenmütze fiel von seinem Kopf. »Du hättest mich nicht anfassen dürfen. - Hörst du? - Warum hat dir dein Hirn nicht gesagt, dass du mich nicht anfassen darfst?« Sie schlug mit der flachen Hand in die Blutlache, die sich am Boden der Schüssel gebildet hatte.
»Alles wäre so schön geworden«, flüsterte sie, während ihr zum zweiten Mal an diesem Tag sein Blut übers Gesicht lief, »alles wäre so gut geworden.«
Sie war im Himmel. Und nackt. Irgendjemand hatte ihr alle Kleider gestohlen. Sie griff nach einer Wolke, um sich zu bedecken, aber so sehr sie auch zerrte, die Wolke wollte sich nicht bewegen lassen. Als sie genauer hinsah, entdeckte sie, dass es die Sonne war, die die Wolke an einem Zipfel festhielt. Liebe Sonne, sagte sie, ich begreife, dass auch
du dich bedecken möchtest, aber schau, du bist so groß und heiß, und ich bin so nackt und friere. Lass mir die Wolke. Die Sonne lachte ihr ins Gesicht.
Kyra schlug die Augen auf. Das plötzliche Licht stach wie Nadeln. Maunzend rollte sie sich auf den Bauch und vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen. Hell. Go to hell. Warum hatte sie Idiotin den Vorhang offen gelassen. Und warum feierte die Sonne ausgerechnet heute Comeback.
Sie hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Katerfäulnis. Fröstelnd fingerte sie nach der Bettdecke. Wo war sie stehen geblieben? Sie versuchte sich in ihren Traum zurückzufädeln. Die Sonne hatte sie ausgelacht. Sie hatte die Sonne gebeten, die Wolke loszulassen, und die Sonne hatte sie ausgelacht.
Mit der Unbeirrbarkeit der Halbschlafenden zerrte Kyra an der Decke. Sie streckte den Arm aus, um die Gegnerin wegzudrücken. Sie war gar nicht so heiß, wie sie erwartet hatte. Nur warm und ein wenig verschwitzt. Sonderbar. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Sonne schwitzte.
Ihr Körper hatte Blei getankt, aber ihr Hirn begann zu begreifen, dass mit der Sonne etwas nicht stimmte. Mit demselben harten Schmerz, mit dem man aus drei Metern
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