Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
um alles in der Welt hängte sich so etwas freiwillig um den Hals? Jemand, der einem oder zwei Männern den Kopf abgeschnitten hat, erinnerte ihn eine leise Stimme. Es wollte und wollte nicht in seinen Schädel hinein.
Wie einfach wäre es doch, wenn diese Kette Isabelle Konrad gehören würde. Auch wenn er nicht recht daran glaubte. Aber eine musste es ja getan haben. Und Isabelle Konrad war wenigstens kein Mädchen, das er gern als Tochter gehabt hätte.
Törner suchte Zuflucht bei dem schön gerahmten Foto seiner Tochter, das auf seinem Schreibtisch stand. Ob sie eines Tages imstande wäre, ihm den Kopf abzuschneiden? Er lächelte. Sein Goldstück. Aber jetzt schon so kokett. Wie sie ihr Handgelenk mit dem Silberreifen ins Bild drehte.
Ohne dass er es merkte, begann Törner sich die Stirn zu massieren. Dass er nicht früher darauf gekommen war. Er war ein solcher -
»Dummkopf.«
Sie ließ die blutbesudelte Taschenlampe zu Boden fallen. Eine graue Masse, die Hirn zu nennen sie sich scheute, tropfte vom Gehäuse. Glas und Birne waren schon beim ersten Schlag zersplittert.
Mit ihrer eigenen Lampe leuchtete sie ihm in den Rücken. Ihre Hand zitterte noch, so sehr hatte sie sich aufgeregt. Dieser Hund. Wie konnte er es wagen, Athene anzufassen. Dieser Bock. Schade, dass er nur einen Schädel hatte. Für den Frevel, den er begangen hatte, war einmal Schädel-Zertrümmern viel zu wenig. Ausweiden hätte sie ihn sollen, bei lebendigem Leibe ausweiden. Die Därme herausreißen und ihn damit erdrosseln. Sie stieß zischend die Luft aus.
Warum hatte er nicht brav im Pausenraum sitzen können, wie es sich für einen anständigen Nachtwächter gehörte? Ohne Aufhebens hätte sie ihm dort das Messer ins Herz gestochen, das sie eigens für ihn eingesteckt hatte. Konnte denn niemals etwas funktionieren? Mussten denn immer Dinge geschehen, die alles in Unordnung brachten?
Sie zerquetschte zwei Wuttränen, die sich in ihren Augenwinkeln gebildet hatten.
Obwohl er tot war, stand er noch immer auf seinen Beinen. Athene ließ ihn nicht fallen. So war die Göttin. Gerecht bis in den ärgsten Zorn hinein. Sie zog das Wasser in der Nase hoch.
Jetzt erst sah sie, wie hässlich sein Hintern war. Braun. Picklig. Haarig. Sie ging einige Schritte näher. Nie hätte sie geglaubt, dass es so etwas Hässliches auf der Welt geben könnte. Sie schüttelte sich und schaute auf ihre Armbanduhr. Sie musste sich beeilen. Und beruhigen.
Sie hatte den Durchgang zum nächsten Saal bereits erreicht, als ein dumpfes Geräusch sie noch einmal zurückblicken
ließ. Sie lächelte. Athene hatte es sich anders überlegt. Der Frevler war zu ihren Füßen zusammengesunken.
»Prost!« Kyra setzte ihr Bierglas an und wischte sich den Schaum vom Mund. »Tut das gut nach dieser ganzen Hetzerei. Ich weiß wirklich nicht, was du gegen den Laden hier hast. Das Jever ist erste Klasse: ordentlich gezapft, kalt, genug Kohlensäure, was willst du mehr?«
»Zum Beispiel was Vernünftiges zum Essen«, brummte Franz aus den Tiefen der Barbarossa -Karte. »Ich habe leider nicht das Glück, so wie du zu den Menschen zu gehören, die sich einen ganzen Abend lang ausschließlich von Jever ernähren können.«
»Was übrigens keine Frage von Glück, sondern von Willensstärke und Training ist, aber egal, ich such dir was aus zum Essen. Komm, gib her.«
Franz hielt ihr die kunstledergebundene Karte hin, in der er mit wachsender Unlust geblättert hatte.
»Hier, zum Beispiel auf der Wochenkarte: Putenspieße . Zwei gegrillte Putenspieße auf gedünstetem Chicorée und Frühlingszwiebeln, serviert mit einer lieblichen Chili-Orangen-Soße und Basmatireis . Na, wie klingt das?«
»Grauenvoll.«
Kyra seufzte. »Wie hab ich es vermisst.«
»Was?«
»Dein Gegrantel.«
»Das ist kein Gegrantel, das sind fundierte Urteile über die gastronomischen Verhältnisse in diesem Lokal.«
Kyra warf Franz einen Luftkuss zu und winkte der Kellnerin. »Der Herr nimmt ein Wiener Schnitzel mit Pommes.«
Franz lehnte sich zufrieden lächelnd auf der Holzbank zurück. »Ist das wahr?«
»Was?« Wieder hatte Kyra den Eindruck, dass irgendetwas an Franz anders war als sonst, aber sie kam einfach nicht drauf, was.
»Dass du mich vermisst hast.«
»Ich hab nicht dich vermisst, ich hab dein Gegrantel vermisst.«
»Auf einmal besteht dazwischen ein Unterschied?«
Kyra beendete die Diskussion, indem sie sich ihrer Handtasche zuwandte und das Foto hervorkramte, das sie heute
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