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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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diesem Moment flog die Tür zur Chefredaktion auf und ein gestresster Olaf Wössner erschien. Er warf den beiden angehenden Praktikanten einen flüchtig-höflichen Blick zu. »Es dauert noch einen kleinen Moment, Sie müssen bitte entschuldigen.« Mit staksigen Riesenschritten eilte er an ihnen vorbei.
    »Frau Schreiber.«
    Er steckte seinen Kopf in den offenen Konferenzraum am Ende des Ganges. »Ach, hier sind Sie, Frau Schreiber.« Er klang sehr ungehalten. »Könnten Sie bitte sofort versuchen, Frau Mayer ausfindig zu machen. Ich habe unten in der Redaktion angerufen, und die meinten, sie sei noch nicht im Haus. Rufen Sie ihre private Nummer an. Und wenn Sie sie erreichen, sagen Sie ihr, dass sie unverzüglich zu mir kommen soll.« Er räusperte sich. »Es ist dringend.«

    Erst im Treppenhaus merkte Kyra, dass sie keine Schuhe anhatte. Aber egal. Einmal die Erste am Tatort zu sein, war ein Paar kaputte Fußsohlen wert. Sie hörte, wie die beiden Bullen, die ihr im Duett eingeschärft hatten, ihren Hintern keinen Zentimeter aus der Wohnung zu bewegen, auf die Straße traten, und rannte los.
    Naturgemäß hatten die grünen Jungs gleich im Halteverbot vor ihrer Tür geparkt. Kyra wartete, bis die beiden im Auto saßen, dann sprintete sie zu ihrer Giulia, die eine Ecke weiter stand. Sie hatte sich gerade hinters Steuer geworfen, als der dunkle Wagen mit Sirene und rasch aufs Dach geklebtem Blaulicht an ihr vorbeischoss. Die Giulia schien sich ihrer Vergangenheit als Sportwagen zu erinnern, jedenfalls sprang sie beim ersten Schlüsseldrehen an.
    »Braves Mädchen, jetzt zeig, was in dir steckt.«
    Ohne Rücksicht auf Stoßstangen rammte sich Kyra aus ihrer Parklücke heraus und nahm die Verfolgung auf. Sie hatte keinen Schimmer, wohin es ging, aber bei dem Tempo, das die Bullen vorlegten, musste es sich um etwas Kapitales handeln. Eben schossen sie links die Potsdamer Straße hoch. Sie begann zu begreifen, worin der thrill lag, Minister oder Bundeskanzler zu werden: Das Gefühl, hoffnungslos verstaute Straßen mit achtzig Sachen zu nehmen, war einfach geil. Geiler als Sex. Aber darüber wollte sie jetzt nicht weiter nachdenken. Stattdessen freute sie sich auf die Fressen der restlichen Zeitungsmeute, wenn diese bei ihrer Ankunft die Giulia schon geparkt sehen würde.
     
    Er wünschte, er wäre in Stalingrad. In Stalingrad durften Männer mit abgerissenen Köpfen und rauchendem Unterleib daliegen. Aber nicht hier in Berlin. In Berlin starb Mann am Steuer, unter der S-Bahn, mit einem Messer in der Brust, mit einem Strick um den Hals oder einer Nadel im Arm. So wie dieser hier starben allerhöchstens Frauen. Wenn Mann so starb, war Krieg.

    Hauptkommissar Priesske wandte sich ab. Er wollte ausspucken und wusste, er durfte nicht. Nicht wegen der Pietät. Die Magensäure, die gegen seinen Kehlkopfdeckel drückte, hätte sich mitentladen.
    Das Dutzend Museumswächter hatte sich in den Ausgangswinkel des großen Saals zurückgezogen. Heinrich Priesske brauchte sie nicht erst zu vernehmen, um zu wissen, welches Lied sie alle singen würden: Wir haben nichts gesehen. Wir wissen nichts. Wir wollen nichts wissen.
    Sie hielten die Köpfe gesenkt, als bräuchten sie nur auf den Steinfußboden zu starren, und alles sei wieder in Ordnung. Eine feige Bande, deren Feigheit das Graue, Hässliche ihrer Gesichter noch grauer und hässlicher machte. Mollusken, Weichtiere ohne Statur. Hätten sie nicht in den graublauen Uniformen der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz gestakt, sie wären auseinander gelaufen wie Haferschleim. Jeder Einzelne von ihnen hätte sich letzte Nacht genauso abschlachten lassen wie dieses Bündel, das hinter ihm auf den Treppenstufen lag.
    Heinrich Priesske ging auf die schweigende Gruppe zu. Er konnte ihre Angst riechen. Kein Frauengeruch war so widerlich wie Männer, die nach Angst stanken. Männer, die Angst hatten, sollte man erschießen. Erschießen, bevor sie sich vom Feind Kopf und Eier wegreißen ließen.
     
    »Das kostet Sie Ihren Arsch, das garantier ich Ihnen.« Kyra blitzte den Weißkittel an wie eine defekte Hochspannungsleitung. Da war sie schon einmal die Erste am Tatort, und dann nahmen diese Idioten sie fest. Mehrfacher Rotlicht-Verstoß. Straßenverkehrsgefährdung. Und was das Schönste war: Mordverdacht.
    Polizeiarzt Doktor Friedemann ließ sich nicht beeindrucken. Lächelnd befreite er eine Spritze aus ihrer Kunststoffumhüllung. »Würden Sie jetzt bitte den linken Arm

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