Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
freimachen.«
»Den Teufel werd ich! Was sind denn das für Methoden? Sind wir hier in Berlin oder in Teheran?«
»Würden Sie bitte den linken Arm freimachen.«
»Wie oft soll ich Ihnen noch erklären, dass das alles ein Missverständnis ist. Ich bin nicht die Tochter von diesem Homberg. Sie können mir zwanzig Liter Blut abzapfen und werden keinen viertel DNA-Strang finden, der mit diesem Kerl auch nur im Entferntesten verwandt ist.« Kyra stöhnte auf. »Ich habe diese Geschichte erfunden, damit mich die dämliche Haushälterin in seine Wohnung reinlässt. Ist das so schwer zu kapieren?«
»Tut mir Leid. Diese Frage müssen Sie mit Hauptkommissar Priesske klären. Ich habe einstweilen nur die Anweisung, Ihnen Blut abzunehmen.«
»Ich bin Journalistin. Ich muss an den Tatort zurück.«
»Wenn Sie jetzt bitte stillhalten würden.«
Kyra dachte kurz nach. »Gut. Gut.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie wollen Vampir mit mir spielen. Ich will mit meinem Anwalt telefonieren.«
Doktor Friedemann schaute zu der Polizeibeamtin, die den Vorgang aus dem Hintergrund heraus beobachtete. »Kann sie telefonieren?«
Die Beamtin kam einige Schritte näher. »Aber nur ein Anruf. Unter Aufsicht.«
»Herzlichen Dank.« Kyra bückte sich, um nach Handtasche samt Handy zu greifen, bis ihr einfiel, dass ihre Handtasche irgendwo in ihrer Wohnung war. Großartig. Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück, streckte die Beine aus und ließ die nackten Zehen spielen. Von den Nägeln blätterte der dunkelrote Lack, als sei bereits Herbst. Wahrscheinlich lag die Handtasche auf ihren Schuhen.
»Könnte mir einer ein Telefon bringen?«
Niemand reagierte.
»Hey. Was ist jetzt? Telefon gegen Blut. Ich finde, das ist ein ziemlich fairer Deal.«
Die Beamtin packte Kyra am Oberarm. »Kommen Sie mit. Wir gehen nach nebenan. Da können Sie telefonieren.«
»Sachte, sachte. Wenn Sie so quetschen, weiß ich nicht, wie der arme Doktor nachher noch einen einzigen Tropfen Blut in dieser Vene finden soll.«
»Kommen Sie!«
Die Beamtin führte sie auf denselben polizeipräsidialen Linoleum-Highway hinaus, über den sie schon hereingekommen waren. Kyra schaute die Frau aus den Augenwinkeln an. Warum nur mussten alle deutschen Polizistinnen blonde Zöpfe tragen? Teil der Dienstvorschrift? Kleiderordnung, Paragraf 95 c, Unterpunkt 3? Neben dem Gummisohlenquietschen der Beamtin erschien ihr das nackte Tappen ihrer eigenen Füße auf dem Linoleumboden von rührender Unschuld. Sie fühlte sich wie eine Klosterschülerin auf dem Weg zur Oberin. Nein, Mutter, ich habe nicht gesündigt. Ich habe nur meine Arbeit getan.
»Im Pergamon-Museum liegt die dritte Leiche, stimmts?«
Die Beamtin schwieg. Ton in Ton mit dem grau-braunmelierten Linoleumboden.
»In diesem Land gibts so was wie ne Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit.«
»Sie können jetzt telefonieren.« Das Uniform-Gretchen schloss eine Tür auf. »Aber nur ein kurzer Anruf.«
»Keine Angst. Mein Anwalt sitzt nicht in New York.«
IV
»Herr Pawlak?«
»Ja?« Franz tippte den Satz, an dem er gerade saß, zu Ende und drehte sich samt Schreibtischstuhl herum. In seiner offenen Zimmertür stand eine junge Frau mit langen blonden Haaren. Erfreuliche Erscheinung. So kurz nach dem Frühstück.
»Womit kann ich Ihnen helfen?«, fragte er höflich.
Die Erscheinung lächelte. »Entschuldigen Sie, dass ich störe, ich bin die neue Praktikantin im Feuilleton. Herr Wössner hat mich zu Ihnen geschickt. Er sagt, er braucht den Handke zurück, den Sie gestern mitgenommen haben.«
»So. Wössner braucht den Handke zurück«, wiederholte Franz. Es fiel ihm schwer, sich vom Anblick der neuesten Feuilleton-Fee loszureißen. Man konnte gegen die Personalpolitik beim Morgen einwenden, was man wollte: In der optischen Auswahl seiner Praktikantinnen ging er selten fehl.
Franz betrachtete das Chaos, das seinen Schreibtisch überzog. »Handke, Handke«, murmelte er, »wo ist der Handke?« Er hob einen Blätterstapel an, misstrauisch, als vermute er darunter nicht das neuste Werk des österreichischen Dichters, sondern einen Giftkäfer. »Will Wössner diese Peinlichkeit nun doch selbst rezensieren?«
»Das weiß ich nicht. Er hat mir nur gesagt, dass er das Buch zurückbraucht.«
»Ja. Natürlich.« Franz lüftete einige weitere Zeitschriftenstapel. »Ah, da ist er ja.« Er drehte das Buch ein paar Mal unschlüssig in seinen Händen. Auf einmal hatte er es nicht mehr so eilig, die
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