Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Lügnerin.«
»Meine Mutter hat wirklich so nen Scheiß mit meinen alten Sachen gemacht«, protestierte die Grüne. »So Tochteraltäre. Überall in der Wohnung. Die hat sogar n paar von meinen Babyklamotten unter Glas gerahmt und sich ins Schlafzimmer gehängt.«
»Warst du scharf auf deine Mutter?«
»Wie meinstn das jetzt?«
»Ob du deine Mutter gefickt hast.«
Isabelle Konrad riss die Augen auf und prustete los. »Mann, du hast vielleicht Ideen. Erst willste mir einreden, dass mein Vater mich gevögelt hat, und jetzt soll ichs mit meiner Mutter getrieben haben?« Sie schüttelte den Kopf, dass die grünen Rastas flogen. »Wir waren zwar ne kaputte Family, aber so fertig nu auch wieder nicht.« Ihr Lachen ging in Schluckauf über. »Ich und meine Alte - hick -, das
ist echt das Beste, was ich seit - hick - Jahren gehört hab hick.« Sie rutschte näher an Kyra heran. »Kannste mir mal helfen, diesen Scheiß loszuwerden? Ich halt mir die Ohren zu, und du musst mir die Nase zuhalten.« Sie grinste. » Hick . - Bitte, Mami.«
Mit gestrecktem Arm fasste Kyra nach der beringten Nase und drückte zu. Kräftig. Die Grüne stopfte sich zwei Finger in die Ohren und presste die Lippen aufeinander. Sie schnitt heftige Grimassen.
Kyra schaute zum Fenster hinaus. Sie musste sich in Acht nehmen, dass sie nicht noch fester zudrückte. Drei tote alte Männer, ein toter Nachtwächter und ein kleines grünes Gör. Das Ganze à la grecque. Es machte keinen Sinn.
Ein komisches Gefühl auf ihrem rechten Oberschenkel holte sie zurück. Die Grüne hatte ihre schwarzen Bastlatschen abgestreift und robbte mit nackten Zehen ihren Schenkel hinauf.
Kyra ließ sie augenblicklich los. »Hör auf damit.«
»Hey, hey, hey.« Die Grüne hob beide Hände. »Spielen wir jetzt wieder Miss Rühr-mich-nicht-an?« Sie grinste. »Aber die Nummer kauf ich dir nicht mehr ab.« Sie beugte sich so weit nach vorn, dass Kyra ihren Atem im Gesicht spürte. »Mann, ich hab selten eine so abgehen erlebt wie dich.«
Kyra stieß sich vom Schreibtisch weg und stand auf. »Isabelle, was hast du in dieser Nacht gemacht?«
Die Grüne blinzelte verwirrt. »Wie: gemacht? Das musst du doch am besten wissen, was ich gemacht hab.«
»Nein. Das weiß ich nicht.« Kyra verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann mich nur erinnern, dass du bei mir vor der Tür gehockt hast und die Bullen dich am nächsten Morgen aus meinem Bett gezogen haben. Dazwischen kann alles passiert sein.«
»Sag mal, ist das jetzt n Spiel, oder hast du n Problem?«
»Jawohl. Ich habe ein Problem. Der Ersatzschlüssel, der neben meiner Wohnungstür hing, ist weg.«
»Was hatn das mit unsrem Sex zu tun?«
»Isabelle, bist du in dieser Nacht noch mal abgehauen?« Kyra ging drohend auf die Grüne zu.
»Du glaubst doch nicht etwa, dass ich -«
»Doch, genau das glaub ich.«
»Du hastse ja nicht mehr alle!« Isabelles Augenbrauen schossen zusammen. »Und überhaupt«, sie funkelte Kyra an, »wenn du dich an so gar nix mehr erinnern kannst wer sagt denn, dass du in dieser Nacht nicht noch mal los bist und den Alten umgelegt hast.«
»Darf ich mich dazusetzen?«
Die blonde Feuilleton-Fee blickte von ihrem Buch auf. »Sicher dürfen Sie das.«
Es schien sie nicht weiter zu irritieren, dass Franz sich ausgerechnet an ihren Tisch setzen wollte, obwohl mindestens zwanzig andere Tische frei waren. Die Mittagszeit in der Kantine war vorüber. Er stellte sein Tablett ab und nahm schräg gegenüber Platz. Hühnersuppe. Kassler. Sauerkraut. Kartoffelbrei. Menü II. Die Himbeer-Quarkspeise war aus gewesen.
»Haben Sie schon gegessen?«, fragte er mit Blick auf ihre leere Tischhälfte. Einzig ein Glas Milch stand vor ihr.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich esse tagsüber nie.«
»Ist gerade Ramadan?«
Sie lächelte höflich. »Ich nutze die Mittagspause lieber zum Arbeiten.«
Franz nickte beeindruckt. »Klingt nach einer effektiven Diät. Sollte ich vielleicht auch mal ausprobieren.« Er schlürfte den ersten Löffel Hühnerbrühe.
Ihr Blick senkte sich ins Buch zurück. Zwischen hängenden Suppennudeln und Karottenstückchen versuchte Franz zu entziffern, welche Lektüre die Kleine dermaßen fesselte. Es war ein altes Buch, in Leinen gebunden, ohne Schutzumschlag. Die Titelprägung war so verblasst, dass er unmöglich
etwas entziffern konnte. Vielleicht war es Zeit für eine neue Brille. Oder noch besser: Kontaktlinsen. Neulich hatte ihm ein Kollege erzählt, dass Brillen jetzt auch
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