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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Schlafwandlerin ging Kyra durch den Saal. Vergessen, dass sie hier war, um zu schnüffeln. Vergessen die kleine Blonde, die Professor Dollitzer großäugig Fragen stellte.
    Am zweiten Sektionstisch stand eine Ärztin. Eine schöne Frau. Nicht alt. Kyra lächelte sie an. Sie schaute nicht einmal zurück. Sie war ganz darauf konzentriert, eine Leber aus einem grotesk fetten Bauch zu holen. Mit beiden Unterarmen hievte sie das aufgedunsene Organ auf eine der Platten.
    Kyra ging weiter. Auf dreien der vier Tische lagen Menschen in mehr oder weniger geöffnetem Zustand. Der feingliedrige Arzt, der an dem Tisch auf der rechten Seite arbeitete, war mit seiner Sektion am weitesten. Die komplett leergeräumte Brust- und Bauchhöhle verschaffte Kyra ein Gefühl von Ordnung und Klarheit.
    Die geöffneten Leichen waren ihr als Kind immer wie
Baukästen vorgekommen. Wie ein besonders kompliziertes dreidimensionales Puzzle. Und deshalb war sie immer so enttäuscht gewesen, wenn die Pathologen nach getaner Arbeit sämtliche Organe blind in die Bauchhöhle hineingeworfen hatten, anstatt alles wieder ordentlich hineinzubauen. Sogar die zerschnittenen Hirne hatten sie von den Silbertellern einfach in die Bauchhöhle gekippt. Und die leeren Kopfhöhlen mit Watte ausgestopft. Als sie ihre Mutter danach gefragt hatte, hatte diese nur lachend geantwortet, sie solle selbst einmal versuchen, ein lamelliertes Hirn wieder in eine Schädelhöhle hineinzusetzen.
    Kyra wanderte zu der alten Frau zurück, die auf dem ersten Sektionstisch lag. Inzwischen war auch sie zur Hälfte ausgeräumt.
    Professor Dollitzer führte Nike gerade eine besonders verkalkte Arterie vor. Atemlos verfolgte die Kleine, wie der Arzt die Röhre, die Handgelenkdurchmesser erreicht hatte, der Länge nach aufschnitt. Es knirschte wie bei einem alten Waschmaschinenschlauch.
    Kyra musste lächeln. So ahnungslos, das Mädchen. Und so geschmeichelt der Professor, dass er Kabinettstückchen aus dem menschlichen Körper vorführen konnte.
    Langsam ging sie ans Kopfende des Sektionstisches. Noch hatte der Arzt der Greisin den Schädel nicht geöffnet. Noch hatte er nicht den Schnitt von Ohr zu Ohr gesetzt, um ihr die Haut nach vorn und nach hinten wie eine Strumpfmaske übers Gesicht zu ziehen, bis der nackte Knochen hervorschaute. Ihre abgesaugten Augen blickten fremd. Ein Blick, wie ihn Kyra noch nie gesehen hatte. Ein Blick in eine andere Dimension.
    Die Stimme des Professors verschwamm in ihren Ohren. Sie war so schön. Die tote Greisin. So puppenschön.
     
    »Es tut mir außerordentlich Leid, dass ich Sie noch einmal behellige, aber die Dinge haben sich in eine Richtung entwickelt,
die es erfordert, dass ich Ihnen noch einige Fragen stelle.« Hauptkommissar Heinrich Priesske schlug die Beine übereinander und zupfte seine Bügelfalte aufrecht.
    Doktor Olaf Wössner kreuzte die Hände auf dem Schreibtisch. »Sicher. Ich hoffe nur, dass ich Ihnen weiterhelfen kann.«
    Kleine Pause unter Männern.
    »Herr Doktor Wössner, ich möchte nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber ist Ihnen etwas darüber bekannt, ob Robert Konrad homosexuelle Kontakte hatte?«
    »Selbstverständlich nicht.« Ein flüchtiges Rot huschte über das Gesicht des Chefredakteurs.
    »Sie meinen, es ist Ihnen nicht bekannt, oder Konrad hatte keine solchen Kontakte?«
    »Robert Konrad hatte keine solchen Kontakte.«
    Priesske lächelte verbindlich. »Ich begreife, dass dieses ganze Thema für Sie höchst unangenehm sein muss, aber der Verstorbene schien - wie soll ich sagen: ein recht ausschweifendes Liebesleben geführt zu haben. Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass er sich immer nur an Frauen gehalten hat?«
    Eine Zornesfalte teilte Wössners Stirn in zwei. »Ich sehe nicht, was diese Frage mit Ihren Ermittlungen zu tun hat. Gehen Sie plötzlich davon aus, dass Robert Konrad von einem Mann ermordet wurde? Ich dachte, Sie waren davon überzeugt, dass es sich um eine Täterin handelt.«
    »Wir ermitteln in alle Richtungen.«
    »Sicher. Sicher.« Olaf Wössner starrte auf seine Hände. Seine Lippen spitzten sich ein paar Mal. Er holte Luft. »Es tut mir Leid, Herr Kommissar. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als ich eben schon gesagt habe.«
     
    »Danke, ich möchte nur Mineralwasser.« Nike Schröder lächelte den Kellner an und strich sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht.

    Kyra griff nach ihren Zigaretten. »Ich wette, Sie trinken niemals Alkohol?« Sie warf das Streichholz so

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