Die historischen Romane
Worauf ihm erwidert wurde, gewiss kennten wir sie nicht, sonst wären sie ja keine Unbekannten, und sagen Sie selbst, ob Ihnen seine Art zu argumentieren besonders logisch erscheint. Seltsam, dass ein Gläubiger seines Schlages so wenig Sinn für das Geheimnis hatte. Nach all diesen Ausführungen formulierte de Maistre seinen Schlussappell: Kehren wir zum Evangelium zurück, und lassen wir die Narreteien von Memphis! Womit er nur die altbekannte Linie der Kirche vertrat. Begreifen Sie nun, in welchem Klima sich das Wilhelmsbader Treffen vollzog? Nach dem Abfall einer Autorität wie de Maistre sah sich Willermoz in der Minderheit und konnte allenfalls noch einen Kompromiss erzielen. Der templerische Ritus wurde zwar beibehalten, aber jede Aussage über die Herkunft wurde vertagt, im ganzen also ein Fehlschlag. Auf jenem Konvent verlor das Schottentum seine Chance. Wären die Dinge anders gelaufen, hätte sich die Geschichte des Jahrhunderts vielleicht ganz anders entwickelt.«
»Und danach?« fragte ich. »Hat man nichts wieder zusammenflicken können?«
»Was gab es denn da noch zusammenzuflicken, um Ihre Terminologie zu benutzen ... Drei Jahre später lag ein gewisser Lanz, ein Pfarrer, der sich dem Illuminatenorden angeschlossen hatte, vom Blitz erschlagen bei Regensburg in einem Wald. Man fand bei ihm Instruktionen des Ordens, die bayerische Regierung griff ein, man entdeckte, dass Weishaupt ein Komplott gegen die Regierung schmiedete, und im Jahr darauf wurde der Orden verboten. Und nicht nur das, man publizierte auch Schriften von Weishaupt, Schriften mit den angeblichen Projekten der Illuminaten, die das ganze deutsche und französische Neutemplertum für ein Jahrhundert diskreditierten ... Beachten Sie, dass Weishaupts Illuminaten höchstwahrscheinlich auf seiten der jakobinischen Freimaurer standen und sich in die neutemplerische Strömung eingeschleust hatten, um sie zu zerstören. Es war gewiss kein Zufall, dass jener böse Geist den Grafen Mirabeau, den Tribun der Revolution, auf seine Seite gezogen hatte. Darf ich Ihnen etwas im Vertrauen sagen?«
»Bitte.«
»Männer wie ich, die daran interessiert sind, die Fäden einer verlorenen Überlieferung wieder zusammenzuknüpfen, stehen verwirrt vor einem Ereignis wie dem Konvent zu Wilhelmsbad. Jemand muss da alles erraten, aber geschwiegen haben, jemand hat da Bescheid gewusst und gelogen. Und danach war's zu spät, erst das revolutionäre Durcheinander, dann die kläffende Meute der Okkultisten ... Schauen Sie sich Ihre Liste an, eine Kirmes der Gutgläubigkeit und der Betrügerei, Intrigen, gegenseitige Exkommunikationen, Geheimnisse, die in aller Munde sind. Das Theater des Okkultismus.«
»Sie meinen, die Okkultisten sind nicht sehr vertrauenswürdig?« fragte Belbo.
»Sie müssen den Okkultismus von der Esoterik unterscheiden. Die Esoterik ist die Suche nach einem Wissen, das sich nur durch Symbole tradiert, die für Nichteingeweihte versiegelt sind. Der Okkultismus hingegen, der sich im neunzehnten Jahrhundert ausbreitet, ist nur die Spitze des Eisbergs, das wenige, was vom esoterischen Geheimnis auftaucht. Die Templer waren Initiierte, und der Beweis dafür ist, dass sie, als sie gefoltert wurden, lieber starben, als ihr Geheimnis preiszugeben. Die Kraft, mit welcher sie es verbargen, macht uns ihrer Initiation gewiss und erfüllt uns mit Sehnsucht nach dem, was sie wussten. Der Okkultist hingegen ist ein Exhibitionist, und wie Péladan sagte, ein aufgedecktes Initiationsgeheimnis ist zu nichts mehr nütze. Leider war Péladan kein Initiierter, sondern bloß ein Okkultist. Das neunzehnte Jahrhundert ist das Jahrhundert der Angeberei. Alle bemühen sich unentwegt, irgendwelche Geheimnisse aufzudecken – die Geheimnisse der Magie, der Theurgie, der Kabbala, der Tarotkarten. Und womöglich glauben sie auch noch daran ... «
Agliè überflog den Rest unserer Liste, nicht ohne da und dort mitleidig zu lächeln. »Die arme Helena Petrowna. Eine brave Frau im Grunde, aber sie hat nichts gesagt, was nicht schon auf allen Mauern geschrieben stand ... De Guaita, ein süchtiger Bibliomane. Papus, na wohl bekomm's ... «
Dann stutzte er plötzlich.
»Tres ... Woher haben Sie das? Aus welchem Manuskript?«
Bravo, dachte ich, er hat den Zusatz bemerkt. Wir blieben vage: »Ach wissen Sie«, sagte ich, »die Liste ist beim Durchblättern verschiedener Texte zusammengestellt worden, und das meiste haben wir wieder gestrichen, weil's wirklich Unsinn war.
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