Die historischen Romane
Wissen Sie noch, woher dieses Tres kam, Belbo?«
»Glaube nicht. Du, Diotallevi?«
»Och, das war schon vor Tagen ... Ist das wichtig?«
»Nein, nein, ganz und gar nicht«, versicherte uns Agliè. »Ich frage nur, weil ich es noch nie gehört habe. Wissen Sie wirklich nicht mehr, wer das zitiert hat?«
Es tat uns sehr leid, wir konnten uns nicht erinnern.
Agliè zog seine Uhr aus der Weste. »Mein Gott, ich habe ja noch eine andere Verabredung. Entschuldigen Sie mich.«
Er eilte davon, und wir blieben noch, um die Lage zu diskutieren.
»Jetzt ist alles klar. Die Engländer haben die Idee mit der Freimaurerei lanciert, um alle Initiierten in ganz Europa um Bacons Projekt zu versammeln.«
»Aber das Projekt ist nur halb gelungen: die Idee der Baconianer war so faszinierend, das sie unerwartete Resultate erbrachte. Die sogenannte schottische Strömung missverstand den neuen Geheimbund als eine Möglichkeit zur Rekonstruktion der unterbrochenen Abfolge und nahm Kontakt zu den deutschen Templern auf.«
»Agliè findet die Sache unverständlich. Das ist klar. Nur wir können jetzt sagen, was passiert ist – was wir wollen, dass passiert sei. Also: die verschiedenen nationalen Gruppen geraten miteinander in Streit, ich würde nicht ausschließen, dass dieser Martines de Pasqually ein Agent der portugiesischen Gruppe ist, die Engländer desavouieren die Schotten, sprich die Franzosen, die Franzosen sind in zwei Lager geteilt, in das pro-englische und das pro-deutsche. Die Freimaurerei ist nur der äußere Deckmantel, der Vorwand, unter dem all diese Agenten verschiedener Gruppen – Gott weiß, wo die Paulizianer und die Jerusalemer geblieben sein mögen – sich treffen und sich bekämpfen, um sich gegenseitig ein Stückchen des Geheimnisses zu entreißen.«
»Die Freimaurerei als so was wie Ricks Café Américain in Casablanca«, sagte Belbo. »Das Gegenteil dessen, was man gemeinhin glaubt. Die Freimaurerei ist kein Geheimbund.«
»Nein, wirklich nicht, nur ein Freihafen, wie Macao. Eine Fassade. Das Geheimnis ist woanders.«
»Arme Maurer.«
»Der Fortschritt verlangt seine Opfer. Aber geben Sie zu, dass wir dabei sind, eine immanente Rationalität der Geschichte wiederzufinden.«
»Die Rationalität der Geschichte ist das Resultat einer guten Neuschrift der Torah«, sagte Diotallevi. »Und genau die betreiben wir hier, und gelobt sei der Name des Allerhöchsten immerdar.«
»Na gut«, schloss Belbo. »Jetzt haben die Baconianer also Saint-Martin-des-Champs, und der deutsch-französische Neutemplerismus zerfällt in eine Myriade von Sekten ... Aber wir haben immer noch nicht entschieden, um welches Geheimnis es eigentlich geht.«
»In der Tat, das habt ihr noch nicht«, sagte Diotallevi.
»Ihr? Hier sind wir alle drei gefragt. Wenn wir das nicht ordentlich klären, stehen wir dumm da.«
»Vor wem?«
»Vor der Geschichte, vor dem Tribunal der Wahrheit.«
»Quid est veritas?« fragte Belbo.
»Wir«, sagte ich.
77
Dieses Kraut wird von den Philosophen
Teufelsaustreiber genannt. Es ist experimentell erwiesen,
daß nur dieser Samen die Teufel und ihre
Halluzinationen vertreibt ... Man hat einem jungen
Mädchen davon gegeben, das bei Nacht von einem
Teufel gequält wurde, und da hat ihn das Kraut in
die Flucht geschlagen.
Johannes a Rupescissa, Tractatus de quinta essentia , II
In den folgenden Tagen vernachlässigte ich den Großen Plan. Lias Schwangerschaft näherte sich dem Ende, ich blieb nun bei ihr, sooft ich konnte. Sie beruhigte mich, ich solle mir keine Sorgen machen, es sei noch nicht so weit. Sie nahm an einem Kurs für schmerzlose Geburt teil, und ich versuchte, ihre Übungen mitzumachen. Sie hatte es abgelehnt, sich von der Wissenschaft voraussagen zu lassen, welches Geschlecht das Kind haben würde. Sie wollte die Überraschung. Ich hatte ihren exzentrischen Wunsch akzeptiert. Ich tastete ihr den Bauch ab und fragte mich nicht, was da herauskommen würde, wir nannten es einfach das Kleine, das Ding.
Ich fragte sie nur, wie ich ihr bei der Geburt würde helfen können. »Es ist doch auch meins, das Kleine«, sagte ich. »Ich will nicht den werdenden Vater spielen, wie man ihn aus dem Kino kennt, der nervös auf dem Korridor hin und her rennt und sich eine Zigarette an der andern ansteckt.«
»Pim, viel mehr wirst du nicht tun können. Es kommt ein Moment, der ganz allein meine Sache ist. Und außerdem rauchst du nicht und wirst dir's ja wohl nicht bei dieser
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